Ein Erlebnisbericht vom Couchsurfing mit Kindern für Fortgeschrittene.

Im Gegensatz zu unserem Couchsurfing-Abenteuer in Wales wissen wir bei Ged von vornherein, dass es etwas eigen werden könnte. Sein Profil ist voll von positiven Bewertungen, die ihm einen guten Charakter bei etwas ungewöhnlichen Lebensverhältnissen bescheinigen.

Sorgfältige Vorbereitung

Als ich zu Hause vorm Computer unsere Reise plante und sie mit möglichst vielen Couchsurfing-Aufenthalten bereicherte, waren Familien mit gleichaltrigen Kindern – wie unsere Gastgeber in Sheffield und Bangor – natürlich meine Idealvorstellung. Aber mehr als zwei, drei Handvoll Familien gibt es in Großbritannien nicht, die bereit sind und den Platz haben, vier Leute bei sich aufzunehmen. Natürlich sind die alle selber reisefreudig und in den Sommerferien – verreist.

Außerdem sind alle englischsprachigen Länder bei Couchsurfern besonders beliebt und die Gastgeber damit sehr gefragt. Wer jedes zweite Wochenende eine fremde Familie bei sich unterbringen soll, hat schnell die Nase voll davon, denke ich mir.

Über 40 Anfragen habe ich geschrieben, um auf der Insel schließlich fünf Zusagen zu erhalten. Entsprechend ausdehnen musste ich meinen Such-Radius.

Unter der Brücke (oder in einer vollgerümpelten Dachkammer) wollte ich aber nicht landen, und da Geds Referenzen zwischen den Zeilen Anlass zu Spekulationen gaben, fragte ich mal vorsichtig nach, ob er seine Unterkunft denn auch einem Hausstauballergiker empfehlen könne. Kein Problem, sagte er. Als alleinlebender Mann habe er zwar nicht so den Blick und das Bedürfnis nach einem blitzsauberen Haushalt, aber vorher mal durchzusaugen, dazu sähe er sich durchaus in der Lage.

Wir schrieben ein paar Mails hin und her, tauschten auch unsere Standpunkte über Kindererziehung und anständiges Benehmen bei Gästen aus und fanden problemlos einen gemeinsamen Nenner. Als ich endgültig zusagte, hatte ich das Gefühl, genug über ihn zu wissen, um mit meiner Familie drei Übernachtungen in seinem Haus nicht nur irgendwie überstehen zu können, sondern mich auch darauf zu freuen.

Und dann die Realität

Wir hatten eine Ankunftszeit zwischen sechs und sieben vereinbart. Am Nachmittag im walisischen Freilichtmuseum erreicht mich eine SMS, in der er uns bittet, möglichst vor sechs zu kommen, da er um halb sieben noch einmal weg müsse.

Sobald wir im Auto sitzen, texte ich ihm unsere exakte Ankunftszeit laut Navi: 17.45 Uhr.

Prima, schreibt er zurück, das passt. Er kocht schon mal das Abendessen, sagt er noch.

I expected a cosy cottage like this.

So was in dieser Richtung habe ich erwartet. (Vom echten Haus habe ich leider kein Foto gemacht.)

Unser Navi irrt sich selten, und aus dem Alter der ungeplanten Pipi-Pausen sind wir raus. Pünktlich wie die Maurer parken wir also vor der angegebenen Adresse.

Ich bin mir unsicher. In seinem Profil und den Mails hat Ged von „seinem Haus“ gesprochen und davon, dass er möglichst viel Gemüse in „seinem Garten“ anpflanzt. In meinem Kopf gab es dieses Bild von einem gemütlichen, vielleicht etwas heruntergekommenen Cottage. Das Gebäude, vor dem ich nun stehe, ist ein hässliches Mehrfamilienhaus mit Waschbeton-Fassade. Im Erdgeschoss hängt hinter vergilbten Gardinen eine Palästina-Flagge.

Wie in Großbritannien üblich, hat auch im Mehrfamilienhaus jede Partei ihren einen Eingang. Unter der angegebenen Hausnummer befinden sich zwei Haustüren. An der einen steht ein fremder Name. An der auf der Flaggen-Seite steht gar keiner. Eine Klingel gibt es nicht. Dafür begrüßt mich eine Kiste mit Gerümpel.

Ich seufze und klopfe an die Tür. Nichts passiert. Ich wähle die Nummer, von der aus wir am Nachmittag die SMS ausgetauscht haben. Es klingelt. Niemand hebt ab. Nach einer Weile geht die Mailbox ran, und ich spreche unserem Gastgeber auf Band.

Verschollener Gastgeber

Ratlos kehre ich zum Auto zurück, in dem meine Familie wartet, und zucke die Schultern. Wir lassen die Kinder aussteigen und in der Sackgasse etwas herumrennen. Ich rufe noch ein paar Mal erfolglos bei Ged an.

Martin entdeckt in der Einfahrt schräg gegenüber einen Nachbarn, der gerade damit beginnen will, sein Auto auszusaugen. Wir fragen ihn, ob er Ged kennt.

„Wen?“ fragt er, nicht unfreundlich.

Wir erzählen unsere Geschichte, und das Gesicht des älteren Herrn bewölkt sich zusehends.

„Den kenne ich“, sagt er schließlich. „Nicht mit Namen, aber den Kerl von dort drüben, ja – den wollen Sie besuchen? Sind Sie sicher?“

Er erzählt uns von nachbarschaftlichem Clinch. Ich klammere mich an die Hoffnung, dass wir einfach an der falschen Adresse gelandet sind. Denn wie einen, der sich über den geringsten Staubsaugerlärm beschwert, hätte ich Ged jetzt nicht eingeschätzt. Wie einen, der dann aber sonntagmorgens auf afrikanischen Buschtrommeln schlägt, schon.

Wir hören dem Herrn noch eine Weile zu, wie er über die fragwürdigen Machenschaften seines Nachbarn berichtet (lauter fremde Leute gehen da ein und aus, ständig jemand anders). Dann danken wir ihm für seine Auskunft, schreiben die Sache nach einem letzten erfolglosen Anruf ab und fahren ins Zentrum des kleinen Städtchens. Irgendwo müssen wir schließlich heute Nacht schlafen.

Alternative? Schwierig.

Dieses Problem erweist sich als schwieriger als erwartet. Vor Ort scheint es nichts zu geben.

Wir haben die Nummer von der Hostel-Zentrale. Die nächste Jugendherberge befindet sich in Bath und verlangt für ein Vierbettzimmer umgerechnet gut 100 Euro. Dieser Betrag ist normalerweise unser oberes Limit – als Tagessatz, all inclusive, mit Verpflegung, Eintritten und allem Pipapo.

„Was Günstigeres werden Sie in der Gegend nicht finden“, mahnt der Hostel-Manager. „Jedenfalls nicht für heute Nacht.“

Dann vielleicht in die andere Richtung? Wir lassen uns mit einem weiteren Hostel verbinden. Das hat gar kein Zimmer mehr frei. Inzwischen ist es schon kurz nach halb sieben.

Das Happy End

Mein Handy klingelt.

Ged ist dran. „Tut mir so, so leid“, sprudelt es aus ihm hervor. „Ich kann mir denken, dass ihr richtig sauer seid. Aber ich mach’s wieder gut, versprochen!“

Er ist in den Wald gegangen, um wilde Brombeeren für den Nachtisch zu pflücken, erklärt er mir. Das habe ein bisschen lange gedauert, und er habe uns per SMS über die Verspätung informieren wollen. Das Handy aber war nicht da, er musste es wohl irgendwo zwischen den Büschen verloren haben. Er suchte und suchte, lief schließlich zu einem Bekannten, der (nicht so ganz) in der Nähe wohnt, damit der sein Handy zum Klingeln brächte. Als er nach trotzdem erfolgloser Suche und in dem Bewusstsein, seine Couchsurfer hängen gelassen zu haben, nach Hause zurückkehrte, fand er sein Telefon auf dem Schreibtisch.

Sein Bedauern klingt ehrlich und die Geschichte so, als hätte sie durchaus auch mir passieren können. Also fahren wir zurück, erleichtert, heute doch noch eine Bleibe zu haben.

Wir treffen einen etwas zerknirschten, aber umso herzlicheren Mann. Er macht Späße mit den Jungs, zeigt uns seinen tatsächlich umfangreichen Gemüsegarten hinterm Haus und serviert uns selbstgekochten Eintopf.

Im Wohnzimmer hängt die Tapete in Fetzen von den Wänden, in den Regalen stapeln sich wilde Sammelsurien von Krimskrams und merkwürdige Buchtitel, und ein Esstisch befindet sich nicht ins Geds Besitz.* Aber erstens sind wir inzwischen abgehärtet, und zweitens ist Ged einfach jemand, den kennenzulernen es sich lohnt. Und der Kompott aus den wilden Brombeeren, den es mit Vanilleeis zum Nachtisch gibt, ist himmlisch und wiegt den ganzen Ärger auf.

 

Ged's flat lacked a dinner table but he created an instant one for the boys. (Don't know why Janis is looking so grumpy, as far as I remember he loved the stew.)

Ein bisschen Mut zur Improvisation muss drin sein. Schade, dass Janis auf dem Foto so grummelig guckt. Eigentlich erinnere ich mich, dass ihm der Eintopf richtig gut schmeckte.

Dieser Blogpost basiert auf Einträgen meines Reisetagebuchs vom 29. August 2013. Mehr England-Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis.

 

* Ged legt Wert auf die Feststellung, dass er sich inzwischen einen Esstisch zugelegt hat! :)