Stadtführungen sind für Kinder gähnend langweilig. Oder? Nicht unbedingt, wie wir auf unserem Spaziergang durch die Dresdener Altstadt mit Stadtführerin Christina Avdi gelernt haben. Aber für die Erkundung der Dresdner Neustadt auf der anderen Seite der Elbe haben wir uns etwas anderes ausgesucht: die Route „Dresdner Neustadt für Kids“ aus der Reihe „Stadtspiel (Ver)Führung“. Sehenswert ist der zweifelsohne bunteste Teil Dresdens nämlich auf jeden Fall, und als angeblich geburtenstärkstes Viertel Europas bietet er manchen schönen Ort für Kinder.
Im Gegensatz zur klassischen Stadtführung unternehmen wir die Erkundung mit dem „Stadtspiel (Ver)Führung“-Paket in Eigenregie und ohne vorgegebenen Zeitrahmen. Wir halten lediglich ein paar Briefumschläge mit Pappkärtchen in den Händen, die uns zu den Sehenswürdigkeiten auf der rechten Elbseite lotsen und uns über diese informieren.
Bis es soweit ist, müssen wir erst noch eine Hürde nehmen. Wie so oft kommt uns die Idee nämlich spontan. Das Päckchen mit den Unterlagen gibt es an vielen Verkaufsstellen im Buchhandel – aber es ist Sonntag. Die Tourist-Information hat die Touren entgegen der Infos auf der Homepage nicht vorrätig (das ist inzwischen behoben, wie mir versichert wurde!). Aber schließlich werden wir doch fündig: Im Hotel „Elbflorenz“ ist das Programm ebenfalls erhältlich und wird auch an Nicht-Hausgäste verkauft.
Gespannt öffnen wir nun den kleinen Pappkarton. Eine Postkarte zeigt uns, welche Orte wir im Zuge unserer Erkundungstour sehen werden. Wie wir dorthin gelangen, müssen wir uns errätseln. Ausgangspunkt ist der Albert-Platz. Dort müssen wir nachsehen, in welchem Jahr der Brunnen auf der linken Seite errichtet wurde. Die dritte Ziffer der Jahreszahl sagt uns, welchen der elf Umschläge wir als nächstes öffnen dürfen. Mit Feuereifer sind die Jungs dabei und suchen nach dem Hinweis. Nebenbei erfahren wir einige Fakten über die mächtigen Zwillingsbrunnen, die bei so heißem Wetter wie heute viel (teilweise sehr schillerndes) Volk anziehen.
Die Wegbeschreibung auf der Karte sagt uns, wie wir zur nächsten Station gelangen. An der Markthalle müssen wir die Eingänge zählen – was nicht ganz einfach ist, denn die zahlreichen Lieferanteneingänge und Cafétüren zählen nicht mit. Zum Glück gibt es für den Notfall eine Auflösung im Extra-Umschlag. Der Weg zur Dreikönigskirche mit ihrer interessanten Geschichte ist nicht weit. Niemand hetzt uns, und wir können selbst entscheiden, wie lange wir in dem kühlen Gebäude mit der kleinen Ausstellung verweilen wollen. Dann brauchen wir bloß die Lampen abzählen, und schon wissen wir, dass der berühmte Goldene Reiter unser nächster Zielpunkt ist. Und welche der angrenzenden Restaurants als besonders kinderfreundlich gelten, erfahren wir auch. Wir testen das benachbarte Eiscafé (lecker, auch wenn der Verkäufer reichlich muffelig dreinschaut) und lauschen alle Mann andächtig den Ausführungen der Karte, die Martin vorliest. Für eine wirklich kindgerechte Beschreibung kommen für meinen Geschmack ein paar zu viele Namen und Jahreszahlen vor. Aber dass es ein Kanonenschmied war, der das Abbild August des Starken in später vergoldetes Kupfer goss, fasziniert die Jungs durchaus. Und als es daran geht, den Hinweis für die nächste Station zu errätseln, sind sie sowieso wieder ganz im Expertenmodus.
Wir nehmen uns viel Zeit, legen immer wieder Pausen an Planschbrunnen und Spielplätzen ein: Von beidem hat die Dresdner Neustadt reichlich zu bieten. Das individualisierte Konzept des Stadtspiels kommt uns dabei sehr zugute – erstrecht, als Silas in der Böttcherstraße unglücklich vom Klettergerüst fällt und wir wegen Gehirnerschütterung mit Blaulicht und Sirene die Route ändern müssen (die Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus ist in diesem Fall übrigens durchaus empfehlenswert!).
Drei Tage später laufen wir zu Pfunds Molkerei, als sei nichts geschehen. Martin und Janis haben den Parcours schon in der Zwischenzeit absolviert. Einer Zweitnutzung durch den genesenen Bummelanten steht nichts im Wege. Nur der Zugang in den hochgelobten Milchladen mit den berühmten Fliesen gestaltet sich schwierig: Eine Busladung Touristen nach der anderen füllt das Etablissement. Wir retten uns platzängstlich in den prächtig genug ausgeschmückten Hausflur und entdecken den Aufgang zum dazugehörigen Café. Entgegen der unmissverständlichen Ansage auf dem Schild am Eingang („Misbehaved children will be taken away and sold as slaves“) empfängt uns das Personal sehr freundlich, und Silas verdrückt glücklich eine Eisschokolade mit einer unglaublichen Menge an süßer Schlagsahne für einen durchaus moderaten Preis (Tipp: unbedingt in die linke Hälfte des Cafés setzen, denn rechts herum verläuft ein steter Strom von besagten Touristen Richtung WC, der sich beständig mit dem Personal darüber streitet, warum er 50 Cent für dessen Nutzung bezahlen soll, wenn er doch unten im Laden schon so viel Geld ausgegeben hat). Das Stadtspiel-Rätsel lösen wir hier oben auch, denn die Bilder an den Wänden verraten uns das Gründungsjahr des Prunkladens ebenso. Dass Pfunds einst über 55 Filialen in ganz Dresden verfügten und man mancherorts sogar selbst die Kuh auswählen durfte, deren Milch man gern hätte, erfahren wir wiederum von unserem Kärtchen.
Ein weiteres Highlight ist die Kunsthofpassage. Fünf Innenhöfe sind hier auf unterschiedlichste, aber immer grandiose Weise gestaltet. Viele Kunsthandwerker haben hier ihre Ateliers, auch alternative Modelädchen und herrliche Schnickschnack-Boutiquen gibt es. Besonders empfehlenswert ist die Tiki-Eisbar. Zwar schlagen sich auch hier offenbar die Temperaturen der Ware auf die Laune des Personals nieder, aber die freakige Auswahl der Sorten entschädigt dafür. Während Silas klassisch bei Erdbeere und Zitrone bleibt, probiere ich Mango-Basilikum (lecker!), bin für Gurke-Wachholder dann aber doch nicht mutig genug.
Insgesamt elf Stationen reihen sich zwischen Goldenem Reiter und dem Alaunpark aneinander. Wer wirklich alles an einem Tag ablaufen möchte, braucht gutes Durchhaltevermögen (oder stutzt die Angelegenheit über die vorgeschlagene Abkürzung zusammen). Da entlang des Weges nicht nur besagte Spielplätze und verführerische Cafés, sondern auch jede Menge stylische Lädchen und viele Straßenkunst-Hingucker locken, empfiehlt es sich, die Tour auf mindestens zwei Tage aufzuteilen.
Fazit: Die Dresdner Neustadt ist ein absolut spannendes Stadtviertel, das sich auch auf eigene Faust prima entdecken lässt. Das Stadtspiel „Dresdner Neustadt für Kids“ sorgt beim Nachwuchs für Lauf-Motivation und Spaß und informiert allermindestens die Erwachsenen über die Sehenswürdigkeiten. Empfehlenswert.
Das individuelle Stadtführungs-Paket ist an vielen Verkaufsstellen erhältlich und kostet 19,95 Euro.
Das hast du aber schön beschrieben, Lena! Als Einheimische sieht man die Neustadt irgendwie ganz anders; durch eure Augen wirkt sie sehr sympathisch. Pfunds Molkerei und der Kunsthof sind allerdings für uns fast schon so Disney-haft wie das Areal um die Frauenkirche …
Der Tipp mit der Briefumschlag-Stadtführung ist jedenfalls eine tolle Idee; gibt es das auch für andere Städte?
Sympathisch hat die Neustadt auf mich auf alle Fälle gewirkt. Und ganz und gar besonders und… charakterstark ist vielleicht das Wort. Wie ein würziger Käse, nicht jedermanns Sache, aber für Kenner der ultimative Genuss. :D
Disney-haft ist zumindest für die Molkerei ein guter Ausdruck.
Die Stadtspiele gibt es auch für Berlin und Leipzig, jeweils verschiedene Touren. Auch für Dresden gibt es insgesamt 8 (?) Rundgänge. Gerade für Einheimische lohnt sich das bestimmt.
eine tolle idee, um eine stadt kennenzulernen!
liebe grüße von mano
Ob ich doch auch mal wieder nach Dresden fahren sollte? Das hört sich doch tatsächlich danach an, als könne man damit auch einem Kind eine Stadttour schmackhaft machen. Das ist bei dem meinen nämlich fast ein Ding der Unmöglichkeit – vor allem wenn ich mir erlaube, vor einem Laden stehenzubleiben… ;-)
Herzlich, Katja
[…] (Wir haben mal die Stadt (Ver-) Führung Berlin-Friedrichshain getestet, Bloggerin Lena ist mit dem Stadtspiel durch die Dresdner Neustadt […]