Großbritannien ist ja nun berühmt für seine Parks und Gärten. Viele sind öffentlich zugänglich – gegen Gebühr. Wir haben schon mehrmals vor eintrittspflichtigen Gartenpforten gestanden und überlegt, ob sich der Spaß wohl lohnt. Erst als arme Studenten und später als Eltern mit kleinen Kindern haben wir uns dann immer doch dagegen entschieden. Im Sommer waren die inzwischen 11 und 13 Jahre alten Jungs und ich aber als temporäre Mitglieder des National Trust for Scotland unterwegs. Diese Mitgliedschaft bringt auch kostenlosen Zutritt zu rund 100 Parks und Gärten mit sich. Deshalb haben wir uns die Gelegenheit diesmal natürlich nicht entgehen lassen und Inveresk Lodge Garden bei Edinburgh besichtigt.
Wo liegt Inveresk Lodge Garden und wie kommt man da hin?
Inveresk ist ein kleines Dorf, das im Laufe der Jahre mit der Stadt Musselburgh zusammengewachsen ist. Die wiederum liegt östlich von Edinburgh am Firth of Forth. Mit dem Auto braucht man von Edinburgh aus etwa eine halbe Stunde. Auch mit dem Bus schafft man es (Google Maps zufolge) in 37 Minuten vom Zentrum der schottischen Hauptstadt aus.
Die Jungs und ich reisen mit dem eigenen Auto an und parken direkt vor der Gartenmauer. Es ist der erste Tag unseres dreiwöchigen Roadtrips durch Schottland. Am Morgen sind wir in Newcastle von Bord unserer Fähre gefahren. Auf dem Weg in den Loch Lomond & the Trossachs Nationalpark haben wir uns dieses kleine Gartenparadies als Zwischenstopp ausgesucht.
Was hat es mit Inveresk Lodge Garden auf sich?
Inveresk Lodge ist ein stattliches Cottage, das im Jahr 1683 für die Familie Wedderburn errichtet wurde. Das Haus ist leider nicht zu besichtigen. Der dazugehörige Garten wird in etwa in dem Zustand gehalten, den seine letzte Besitzerin Helen Brunton ihm um die vorige Jahrhundertwende verpasst hat. Trotzdem erzähle ich zuerst die Geschichte der Wedderburns, weil sie ein bisschen skurril und ungeheuer spannend ist.
Die Wedderburns (und ihr Garten)
Ich hab ja ein Faible für verworrene Familiengeschichten. Die Wedderburns haben definitiv eine zu bieten! Wenn ich die Teile richtig zusammensetze, dann war Sir John Wedderburn, Baronet of Blackness, der erste aktenkundige Hausherr der Inveresk Lodge. Für einen Adligen führte er ein unangenehm schlichtes Leben. Grund war wohl, dass ihm ein sicher geglaubtes Erbe durch die Lappen gegangen war. Ein Zeitzeuge berichtete naserümpfend, seine neun Kinder würden um den ärmlichen Bauernhof herum barfuß über die Felder laufen.
In Hoffnung auf bessere Zeiten schloss sich der Baronet 1745 dem Jakobiten-Aufstand an. Der scheiterte bekannterweise. Sir John wurde als Hochverräter hingerichtet: gehängt, ausgeweidet und gevierteilt. So machte man es seinerzeit in Großbritannien mit Hochverrätern.
Die Colviles (und ihr Garten)
Die Lodge wurde von der Krone eingezogen. Was mit Mrs Wedderburns und ihren anderen sieben Kindern passierte, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Ihre ältesten beiden Söhne John und James wanderten jedenfalls nach Jamaika aus. In der damals britischen Kronkolonie wurden sie Besitzer einer mit Sklaven betriebenen Zuckerplantage.
Als reicher Mann kehrte James Wedderburn zurück nach Schottland. Er nahm Inveresk Lodge wieder in Besitz und nannte sich fortan Colvile. Er heiratete und bekam Kinder.
Eines Tages tauchte jedoch sein älterer Sohn Robert auf, dessen Mutter eine afrikanische Sklavin war. James versuchte ihn mit Dünnbier und einem verbogenen Sixpencestück abzuspeisen. Dieses Schlüsselerlebnis machte wiederum Robert Wedderburn zu einem erbitterten Radikalisten und Aktivisten in Sachen Sklavenbefreiung.
James‘ ehelicher Sohn Andrew Colvile dagegen wurde Direktor der Hudson’s Bay Company in Kanada. Mit seiner Frau Mary Louisa bekam er vier Söhne und zwölf Töchter.
Und der Garten?
Über den lässt sich in dieser Zeit einzig und allein sagen, dass er 1781 ein Gericht beschäftigte. Da hingen nämlich Äste über den Zaun aufs Nachbargründstück. (Ja ja, nicht nur in Deutschland gibt es typische Nachbarschaftskriege.)
Aber mal ehrlich: Ist das nicht trotzdem eine abgefahrene Familiengeschichte? (Und ich habe kaum die Hälfte davon wiedergegeben!)
Die Bruntons und ihr Garten
1911 kaufte die Familie Brunton das Anwesen. Der Industrielle John Brunton besaß eine Drahtfabrik in Musselburgh. Das Ehepaar übte die Gartenarbeit als gemeinsames Hobby aus. – Wobei „Gartenarbeit“ hauptsächlich die Neuplanung des verwilderten Anwesens und das Aussuchen der zu setzenden Pflanzen bedeutete. Ganze vier Gärtner beschäftigten die Bruntons zu ihrer Zeit.
Sie bezogen erstmals auch das „Woodland“ in den abschüssigen Garten mit ein. Dort legten sie den Teich an und erfanden ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem für das Feuchtgebiet, das der Trust heute teilweise reaktiviert hat.
Im zweiten Weltkrieg wurde der Inveresk Lodge Garden, wie viele andere Grundstücke ebenfalls, für die Kriegsanstrengungen akquiriert. Die frisch angelegten, liebevoll geplanten Strukturen wurden alle wieder platt gemacht. Es galt, möglichst effizient Gemüse anzubauen.
Danach hatten die Bruntons verständlicherweise keine Lust mehr, wieder ganz von vorne anzufangen. John starb und seine Frau Helen schenkte die ganze Misere kurzerhand dem National Trust.
Der Trust baute den Garten im Sinne der zwischenzeitlich ebenfalls verstorbenen Helen Brunton wieder auf. – Allerdings mit etlichen Vereinfachungen, sodass ein hauptberuflicher Gärtner statt vieren ausreichte. Seitdem ist der Garten für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Lodge, die Helen ebenfalls dem Trust vererbte, ist vermietet.
Was macht man so, wenn man einen britischen Garten besichtigt?
Wir sind, wie gesagt, das allererste Mal in so einem klassischen britischen Garten. Obwohl wir die einzigen Besucher sind und sich auch kein Mitarbeiter zeigt, sind wir anfangs sehr befangen. Angesichts der liebevoll gepflegten floralen Pracht und des perfekt manikürten englischen Rasens fühlen wir uns als Eindringlinge.
Also, ich.
Die Jungs haben lange im Auto gesessen und müssen Dampf ablassen. Bevor ich mir überhaupt sicher bin, ob man den Prunkrasen betreten darf (man darf), stürmen die beiden schon wie wilde Kälber kabbelnd darüber hinweg.
Inveresk Lodge Garden mit Kindern
Zum Glück ist es ausdrücklich erlaubt, die Gärten in Besitz des National Trust for Scotland zu „benutzen“. Tatsächlich erwähnt der „Garden Guide“ auf der Website des Trusts explizit besagtes kindliches „Dampfablassen“ (mittlerweile leider nicht mehr, da die Webseite umstrukturiert wurde). Dass dabei möglichst andere Besucher nicht gestört werden, alle Pflanzen heile bleiben sollten und die Grenze zum „Wüten wie ein Wildschwein“ nicht überschritten werden darf, ist hoffentlich allen Besuchern klar.
Also lasse ich meine Jungbullen mit der aufgestauten Energie erst einmal laufen (nachdem ich ihnen letzteres noch einmal eingeschärft habe). Ich sehe mich währenddessen in Ruhe in der Botanik um. Im Gewächshaus gibt es laminierte „Guides“. Sie beschreiben die verschiedenen Gartenteile. Auch über über die geschichtlichen Hintergründe verraten sie einiges.
Die Jungs spielen währenddessen Verstecken. Irgendwann kralle ich sie mir, um ihnen wenigstens die wichtigsten Fakten und Ansichen des Inveresk Lodge Garden beizubiegen. Dass das Ziffernblatt der Sonnenuhr aus dem Jahr 1644 datiert, zum Beispiel. (Nein, die beiden hat das auch nicht sonderlich interessiert.)
Dann spazieren wir einmal die große Runde durch den Garten. Es gibt zum einen den „richtigen“ Garten, eingefasst in Mauern und bestückt mit Beeten, Hecken und Stauden. Und zum anderen das „Woodland“, ein feuchtes Stück Wiese mit einem Teich in der Mitte, um das ein längerer Spazierweg führt.
Praktische Infos für den Besuch in Inveresk Lodge Garden
Adresse (fürs Navi): 24 Inveresk Village, Musselburgh, East Lothian, EH21 7TE
Parken: Direkt vor der Gartenmauer gibt es zwei oder drei kostenlose Parkplätze. Ansonsten müsste Parken in den umliegenden Seitenstraßen möglich sein (schätze ich).
Öffnungszeiten: täglich 10 bis 17 Uhr.
Eintritt: Erwachsene zahlen 3,50 Pfund, Kinder 2,50 Pfund. Familienticket 9 Pfund, bei nur einem Erwachsenen 7 Pfund. Es gibt eine „Kasse des Vertrauens“ an der Wand neben der Gartenpforte. (Ich habe gehört, dass in der Saison meistens Freiwillige in den Gärten des National Trust arbeiten, und einer von ihnen meistens zufällig in Sichtweite jener Kasse zu tun hat.)
Infrastruktur: Im Inveresk Lodge Garden gibt es eine Toilette. Ein Dach über dem Kopf bei plötzlichem Regen findet sich im Wintergarten oder in Form des Pavillons. Ein Café oder einen Shop gibt es nicht. (Früher gab es in diesem Artikel noch einen Café-Tipp für Musselburgh, aber das „Cakes & Shakes“ hat inzwischen leider dauerhaft geschlossen.) Über das ganze Gelände sind aber teils sehr schöne Picknickplätze verteilt.
Wie viel Zeit sollte man einplanen? Die Sehenswürdigkeiten des Gartens kurz abzuschreiten, dauert vielleicht eine Viertelstunde. Wer alle Tafeln lesen und auch die Runde um den See drehen möchte, sollte etwa eine Stunde einplanen. Und dann noch mal die persönliche Zeit zum Picknicken, Verstecken spielen und Genussvoll-im-Garten-Sitzen-und-Durchatmen draufrechnen.
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- Stefanie von In der Nähe bleiben hat sich Chatsworth House and Gardens im Peak District angesehen.
- Johanna und Michael vom Britlog schreiben über ihre Lieblings-Runde in den Kensington Gardens.
- Simone von totally-London hat eben dort das Garden Museum in der ehemaligen Kirche St. Mary of Lambeth erkundet.
- Und Sandra von A decent cup of tea hat englisches Garten-Feeling mitten in Berlin gefunden, und zwar in der Königlichen Gartenakademie.
Transparenzhinweis: Als akkreditierte Reiseblogger hatten wir eine kostenlose Presse-Mitgliedschaft des National Trust for Scotland. Die war an keinerlei Bedingungen geknüpft und hat mich zwar zum Besuch des Gartens selbst, nicht aber in meiner Meinung über diesen beeinflusst.
Ach, wie schön, liebe Lena Marie – und so grün. Da kriegt man ja gleich Sehnsucht. Nach Frühling und dem Königreich. Jetzt weiß ich gar nicht, worauf ich als nächstes klicken soll… auf einen der verheißungsvollen Links oder auf Deine GB-Beiträge. Ich bin nämlich schon ein bisschen im Vorfreude-Modus; im März geht es nach Yorkshire. Liebe Grüße, Stefanie
Oh, Yorkshire, wie spannend! Das ist eine Ecke, die ich noch gar nicht kenne.