Großes Glück in kleinen Dingen. Daran ist Estland so reich, und Saaremaa insbesondere. Der perfekte Moment unserer Estland-Reise für mich.

Eintrag meines Reisetagebuchs im Anschluss an unsere Wanderung über Harilaid, meinen Lieblingsstrand.

Wie herrlich, wie herrlich! Wir sitzen in einem winzigen Café im Gutshaus von Lahetaguse, dem Geburtshaus von Fabian von Bellingshausen.
Aber erst einmal der Reihe nach. Unser kleiner Spaziergang hat sich zu einer mittelgroßen Wanderung ausgewachsen, weil wir irgendwie die Abzweigung verpasst haben und nicht wie geplant auf dem kürzesten Weg vom Leuchtturm zurückgelaufen sind, sondern im Bogen um die komplette Halbinsel. So haben wir mindestens zwölf Kilometer absolviert, die sich aber absolut gelohnt haben.

Estland-Saaremaa-Harilaid-Wandern

Estland! Herrliches Estland! (Harilaid, Saaremaa)

Am Turm haben wir gepicknickt. Er war ziemlich heruntergekommen, auch nur so ein kleines Ding, das ohne Menschen funktioniert. Die Esten rechnen damit, dass er in nächster Zeit umfällt.

Schiefer-Leuchtturm-Harilaid-Saaremaa-Estland.

Geschafft: Wir haben den schiefen Leuchtturm von Harilaid erreicht.

Direkt am Strand befanden sich auch noch die Überreste eines Bunkers, oder was auch immer das mal gewesen sein mag. Wir nutzten seinen Schatten zum Essen, denn leichtsinnigerweise haben wir die Sonnencreme vergessen.

Der Rückweg war dann beinahe noch schöner als der Hinweg, weil er über Heideflächen mit noch mehr Wildblumen und unbekannten Pflanzen führte. Wir fanden auch noch mehr abenteuerliches Strandgut, darunter das halbe Hinterteil eines größeren Tieres (eines Hundes, schätze ich, obwohl Martin einen Bär vermutet).

Erst auf die letzten paar Kilometer wurden die Jungs unleidlich. Wir streckten unsere Kekspackung: Bei jedem Wegweiser gab es einen halben, bei späterer Rationierung nur noch ein Viertel, denn der Weg wurde immer länger… Aber wir schafften es schließlich alle aufrecht zurück zum Auto, und inzwischen tollen die Jungs schon wieder umher.

Lahetaguse liegt an der Westküste, wo sonst eigentlich gar nichts mehr ist. Das Gut ist in keiner Weise herausragend, das Haupthaus ist auch vernagelt und einsturzgefährdet, wie die meisten der bourgeoisen Herrenhäuser der vorsozialistischen Zeit. Ein Nebengebäude ist aber hübsch ausgebaut. Es gibt wohl Gästezimmer (etwas luxuriösere als das unsere in Kihelkonna) und eben dieses kleine Café mit Tischen und Stühlen im sonnenbeschienenen Innenhof.

Tor-Lahetaguse-Saaremaa-Estland

Das Tor zum Gutshof Lahetaguse, Heim des Arktis-Forschers Fabian von Bellingshausen.

Die bescheidene Schönheit, der ursprüngliche, wilde Liebreiz der Insel kommt hier besonders gut zur Geltung. Während ich in meinem Kaffee rühre – Cappuccino gab’s nicht, die Hausherrin war heute nicht dazu gekommen, die 27 Kilometer bis nach Kuressaare zu fahren, um Milch zu kaufen – genieße ich dieses wunderwunderschöne Fleckchen Erde in vollen Zügen. Dieser hinterletzte Winkel Estlands ist nicht mal interessant im engeren Sinne, aber ich bin einfach nur glücklich, hier zu sein.

Martin und ich diskutieren gerade, ob man Fabian von Bellingshausen kennen muss oder nicht. Nun, okay, als Nicht-Historiker wahrscheinlich nicht. Er war (vermutlich) der erste Mensch, der Fuß auf antarktischen Boden gesetzt hat, einer der großen Entdecker der Südhalbkugel im 19. Jahrhundert. Er trug einen fiesen Schnauzer und hat es deshalb nie in den inneren Zirkel meiner pubertären Heldenverehrung geschafft. Aber jetzt quasi auf seiner Terrasse zu sitzen und den Blick schweifen zu lassen über die knorrigen, flechtenbewachsenen Bäume, unter denen er als Kind vielleicht gespielt hat, während mein Smartphone grad seinen Wikipedia-Artikel öffnet (denn selbstverständlich gibt es auch hier kostenloses Wi-fi) – das hat schon was, auf jeden Fall!

Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 4. August 2012 verfasst.

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