Es regnet in Edinburgh, und durch das Festival Fringe ist die Innenstadt überfüllt. Wir flüchten ins National Museum of Scotland.
Inzwischen haben wir einen gratis Stadtplan ergattert und folgen dem Weg zum National Museum of Scotland. Wer heute in Edinburgh ist, denken wir, will zum Festival Fringe, und geht nicht ins Museum. Die Rechnung geht bedingt auf, denn das Festival umfasst die ganze Stadt gründlich, und in der großen Halle im ersten Stock führen junge Leute eine Percussion-Show vor.
Wir hören eine Weile zu, stromern dann etwas ziellos durch die Ausstellungen im ursprünglichen Gebäudeteil. Die Fakten über die Reisen polynesischer Seefahrerkulturen sind reizvoll, aber eigentlich sind wir nicht für weltumspannende Völkerkunde hergekommen. Gerade als wir uns zu fragen beginnen, ob es im National Museum of Scotland wirklich gar nichts zur Nationalgeschichte Schottlands gibt, treibt Martin eine Übersichtskarte auf (auf Gälisch, alles andere ist aus, abgesehen von Japanisch). So erreichen wir schließlich doch den Anbau, der extra für die Landeshistorie errichtet wurde. Im Keller beginnen wir mit der geologischen Entstehung Schottlands. Die Jungs sind begeistert von den Dioramen mit Dinos, Eiszeittieren und Unterwasserwelt. Weiter geht es mit der Besiedlung durch den Menschen. Die Funde, die auf frühe Religionsausübung hinweisen, faszinieren vor allem mich. Silas mag die Römer-Artefakte und Janis fesseln die Silberschätze, mit denen die Besatzer die schottischen Häuptlinge von Raubzügen südlich des Hadrianswalls abzuhalten versuchten. Für die ganze Familie ist etwas dabei.
Je weiter wir uns in der Geschichte vorarbeiten, desto klarer stellt sich allerdings heraus, dass die Konzeption der Ausstellung nicht besonders gut gelungen ist. Ein roter Faden fehlt völlig. Es gibt keine Übersicht. Für Menschen wie uns, denen schottische Geschichte in der Schule und in meinem Fall sogar an der Universität nur sehr, sehr rudimentär nahe gebracht wurde, erschließen sich die Zusammenhänge nur schwer. Es gibt grandiose Ausstellungsstücke, von den unzähligen Funden aus prähistorischer Zeit bis hin zu funktionierenden Werkmaschinen aus der Ära der Industrialisierung. Präsentiert wird das alles leider sehr unübersichtlich, unstrukturiert und nach einer Ordnung, die keiner von uns nachvollziehen kann. Durch die Bauweise des Gebäudekomplexes ergibt sich kein Rundgang, nichts ist nummeriert und wenig ausgeschildert. Ich erfahre unendlich viel, beispielsweise über die Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit, die in Schottland noch mal eine ganze Ecke heftiger war als bei uns zu Hause, und endlich kann ich auch die Taten von William Wallace und Robert the Bruce auseinanderhalten. Aber wie es zu den Konflikten kam, die die beiden nacheinander zu Helden machte, und was sich darauf aufbaute, habe ich nicht so recht in Erfahrung bringen können. Mit etwas mehr Geduld hätte das sicherlich geklappt, denn die Ausstellung ist riesig, und an Informationen generell herrscht wahrlich kein Mangel. Aber genau die Geduld war bei Silas an diesem Tag Mangelware. „Du willst wohl hier bleiben, bis du jede einzelne Treppenstufe mit Namen kennst“, mault er, als ich ihn noch ein Stockwerk höher ziehe, in dem vergeblichen Versuch, herauszufinden, warum Schottland nach anfänglich umfassender Reformation zum Katholizismus zurückkehrte.
Was den Kindern hingegen sehr gefällt, ist die „Connect“-Halle im Zentrum des Museums, wo Exponate zum Anfassen bereitstehen. Mehrere Roboter reagieren interaktiv, es gibt Versuche zur Elektrizität, Raketen und einen Formel-1-Wagen. Die sterbliche Hülle von Klon-Schaf Dolly dreht sich ausgestopft in einem Glaskasten. Und, um zum Abschluss noch etwas Positives über das trotz allem absolut sehenswerte Museum zu sagen: Der Eintritt ist frei (wenn natürlich auch sehr deutlich um Spenden von mindestens drei Pfund pro Person gebeten wird).
Das National Museum of Scotland befindet sich in der Chambers Street im Herzen der Altstadt von Edinburgh und ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
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