Dieser Blogpost ist quasi die Fortsetzung unserer Geschichte aus Belgrad. Für ein runderes Bild unseres Balkan-Trips möchte ich auf unsere tollen Erfahrungen in Sarajevo verweisen, und auf die Herzlichkeit, mit der uns trotz Sprachbarriere unsere Vermieter in Vršac empfangen haben. Aber diese Texte muss ich erst noch schreiben, und schwärmen kann ich auch später noch. Zunächst brennen mir Erlebnisse wie dieses unter den Nägeln.
Wir sind in Bosnien-Herzigowina. Wie wir erst hier lernen, besteht das Land aus ganz verschiedenen Teilen. Während Sarajevo und die umliegende Region hauptsächlich von muslimischen Bosniaken bewohnt werden, ist der nordwestliche Teil des Landes serbisch dominiert. Wo genau die Grenzen verlaufen, bleibt für den nur mäßig informierten Reisenden völlig unklar. Die Zahl der Minarette auf der Durchreise gibt einen ungefähren Hinweis, ebenso die sich immer wieder abwechselnden Flaggen – hier blau-gelb, dort blau-weiß-rot, und mancherorts ändert sich das von Dorf zu Dorf.
Der serbische Teil des Landes nennt sich Republik Srpska und besitzt den Status einer eigenständigen Entität innerhalb dieses merkwürdigen Vielvölkerstaats. Wir verbringen ein paar herrliche Tage in Sarajevo – Blogbeitrag folgt hoffentlich bald – und machen auf dem Weg Richtung Kroatien noch einmal in Banja Luka Station. Das ist die Hauptstadt von Srpska (zumindest verwaltungstechnisch, denn laut Verfassung beansprucht die Teilrepublik auch Sarajevo für sich). Vor dem Krieg waren nach eigenen Angaben 93 Prozent der Einwohner serbisch. Heute sollen es nahezu 100 sein.
Und wieder werden wir nicht warm mit dieser Stadt. Banja Luka liegt in einem Talkessel. Geheizt wird viel mit Feuerholz, und was sonst alles noch im Ofen landet, möchte ich gar nicht wissen. Jedenfalls liegt eine fiese Dunstglocke über dem Wohngebiet, als wir unser Apartment beziehen. Die Wohnung ist sauber und adrett. Sie gehört einem jungen Mann, dessen Akzent deutlich verrät, dass er in Österreich aufgewachsen ist. Es wäre sicher spannend, seine Lebensgeschichte zu erfahren, aber unsere Fragen zur Wohnung beantwortet er knapp und steht schon wieder im Hausflur, bevor wir auch nur daran denken können, persönlich zu werden. Unseren Bemühungen, Couchsurfer zu finden, ist wieder kein Erfolg beschieden. Und so bleibt uns nichts übrig, als auch diese Stadt nur als Außenseiter wahrzunehmen. Unvorbereitet, wie wir sind, können wir uns auf viele Eigenheiten keinen Reim machen. Warum sind so viele Häuser hier – und auch in anderen Teilen des Landes – unverputzt? Warum dürfen die fliegenden Händler im Park ungestraft T-Shirts mit den Konterfeis verurteilter Kriegsverbrecher verkaufen? Wie ist die Stimmung hier, 20 Jahre nach Ende der Kriegshandlungen?
16 Moscheen gab es in Banja Luka, die während des Krieges zerstört wurden. Von den knapp 200.000 Einwohnern bekennen sich heute nur noch weniger als 10.000 zum muslimischen Glauben. Trotzdem wird die Ferhadija-Moschee im Stadtzentrum gerade wieder aufgebaut. Bei der Grundsteinlegung vor mehr als zehn Jahren kam es zu einem Aufstand. Heute ist die Moschee auf den Straßenschildern bereits als kulturelle Sehenswürdigkeit ausgewiesen – immerhin. Die orthodoxe Christ-Erlöser-Kirche hat im Krieg ebenfalls schwere Schäden erlitten – allerdings schon im Zweiten Weltkrieg. Mit ihrem Wiederaufbau wurde 1993 noch während des Bosnienkrieges begonnen. Ihre goldenen Kuppeln erstrahlen seit 2004 wieder im Zentrum der Stadt.
Das Kastell, vermutlich schon von den Römern errichtet und seitdem von jedem herrschenden Volk für seine Zwecke weiter ausgebaut, ist und bleibt dagegen eine Ruine. Heute ist hier ein Café untergebracht, das von außen recht schick aussieht. Wir gehen nicht rein – wir haben auf die harte Tour gelernt, dass in Serbien (und anderswo in Osteuropa) Gastronomiebetriebe grundsätzlich böse verraucht sind.
Die Fußgängerzone ist sauber und ordentlich und sieht der einer deutschen Kleinstadt nicht unähnlich. Aber besonders hübsch ist Banja Luka nun nicht. Macht nichts, denn wir brauchen ohnehin mal wieder ein, zwei Tage, an denen wir uns auf Schule, Reiseplanung und Wäschewaschen konzentrieren können. In Wirklichkeit ist es ja ganz gut, wenn wir ab und zu einmal nicht von zu vielen Verlockungen zum Sightseeing abgelenkt werden.
Am nächsten Tag machen wir nur einen kleinen Spaziergang durch das Wohngebiet. Auch hier sind die Häuser großteils unverputzt. Es sieht aus, als sei den Leuten beim Bau das Geld ausgegangen. Etlichen Balkonen fehlt das Geländer. Trotzdem flattert frisch gewaschene Wäsche im Wind. Ein, zwei Gebäude sind definitiv verlassen, die Fenster eingeschlagen, die Wände mit kyrillischen Graffiti-Parolen beschmiert. Sind hier nicht-serbische Anwohner vertrieben worden? Es bleibt eine Mutmaßung, denn wir können niemanden fragen, und die Schmierereien können wir nicht lesen. Andere Häuser sind in akzeptablem Zustand. Ich fotografiere eins, vor dem hübsche Novemberrosen blühen. „Mama, guck mal hier!“ rufen die Jungs ein paar Meter weiter. „Hier hat einer Stacheldraht als Gartenzaun! Mach davon mal ein Foto!“ Gehorsam setze ich die Kamera an. Sofort wird oben ein Fenster aufgerissen, und eine übergewichtige Frau mittleren Alters redet zornig auf mich ein. Ich versuche erfolglos, auf Englisch mit ihr zu kommunizieren. Letztlich schließe aus ihrem fortdauerndem Wortschwall, dass sie ihren fragwürdigen Geschmack für Gartengestaltung nicht fotografisch dokumentiert haben will. Ich setze die Kamera ab, kehre ihr achselzuckend den Rücken und schiebe die irritierten Kinder vor mir her. Das Geschimpfe der Frau begleitet uns bis zur Straßenecke. Wir fragen uns, ob wir hier einer einzelnen Spinnerin begegnet sind, oder ob im Gegenteil wir hier als die Spinner angesehen werden. Mit der dicken Spiegelreflex-Kamera und den Kindern in Wanderschuhen steht uns quasi „Tourist“ auf der Stirn geschrieben. Aber diese Spezies ist auf dem Balkan abseits der großen Städte vielleicht so selten, dass man eher geneigt ist, uns selbst in dieser Besetzung für ausbaldowernde Kriminelle zu halten.
Dass wir viel zu sehen kriegen, aber so wenig erklärt, ist der Fluch des Individualreisenden auf dem Balkan.
Übrigens: Janis (10) hat seine Eindrücke aus Bosnien-Herzigowina hier in einem eigenen Bericht geschildert.
Ich finde, dass Orte wie Menschen sind: Einige mag man auf Anhieb, bei anderen funkt es nicht direkt oder eben nie. Wer weiß, vielleicht sitzen Trauma und Misstrauen hier immer noch so tief, dass sich die Menschen in Banja Luka sprichwörtlich mit einem Stacheldraht umgeben müssen, um Distanz zu halten. Ich habe gelesen, dass ein Großteil der Bevölkerung aus Flüchtlingen / Vertriebenen besteht? Gute (erlebnisreiche) Reise weiterhin, Jutta
Übrigens, in Israel ist es anscheinend so, dass man erst dann Grundsteuern zahlen muss, wenn das Haus fertig gebaut ist. Also stehen sehr viele halbfertig, aber total bewohnt, rum…. vielleicht ist das ja hier auch so
So eine schlechte Beschreibung einer Ethnie liest man selten. Schade, ich habe mehr Neutralität vom Autor erwartet.
Lieber Michi, was genau stört dich denn? Ich habe keine Ethnie beschrieben, sondern einen Reisebericht verfasst. Das hier ist ein Reiseblog. Reiseblogs sind per se nicht neutral, sondern subjektiv, weil sie persönliche Erlebnisse beschreiben. Aber davon mal abgesehen – sag mir doch bitte mal genau, was dich stört. Dass es mir persönlich nicht so super in einer Stadt gefallen hat, die du persönlich voll toll findest? Oder kannst du mir eine Textstelle nennen, die deiner Meinung nach eine Ethnie herabwürdigt oder so? Ich verstehe nämlich wirklich nicht recht, was dein Problem ist.
Republika Srpska ist ein sehr schöner Teil von BiH, wenn man es denn zu schätzen weiß…
Die Frau vom Balkon kann ich gut verstehen, wie würde ich mich fühlen wenn Wildfremde auf einmal vor meinem Haus auftauchen und es fotografieren wollen! (Übrigends wird in vielen Ländern Stacheldraht am Zaun genutzt, in manchen südamerikanischen Ländern werden sogar Glasscherben auf die Grundstücksmauer gelegt.)
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Grafitti dazu dient, Nicht-Serben zu vertreiben, denn wie Sie selbst gesagt haben, können Sie kyrillisch nicht lesen, also ist es meiner Meinung nach nicht fair, sofort vom Schlimmsten auszugehen. Wie viele verlassene Gebäude sind in Deutschland mit Grafittis vollgesprüht? Sicher mehr als genug.
Wenn man sich ein Touristenerlebnis erwartet sollte man halt eventuell nicht in die Republika Srpska fahren, von der große Teile sich noch immer nicht vom Krieg erholt haben.
Sie sprechen (zumindest empfinde ich es so) recht herablassend über den Zustand der Häuser, die Schmierereien und den Stacheldraht der Häuser, was mich an Ihre Aussage über die Panzer in Belgrad erinnert. Für Sie ist es eine Woche Urlaub, aber für die Menschen dort ist das ihr Leben.
Wenn ich am Balkan unterwegs bin und kaputte Häuser und Grafittis sehe, werde ich traurig. Es bewegt mich zu Tränen, dass diese Länder so zerstört sind und trotzdem ausländische Touristen enttäuscht davon sind, wenn sie diese Kaputtheit sehen. Wenn man derartig von Hass und Krieg zerüttete Länder besuchen will, sollte man sich ausreichend informieren und nicht im Nachhinein schockiert sein, wenn es nicht so ausschaut wie auf Mallorca.
Liebe Nina, zunächst einmal danke ich dir für die sachlich vorgetragene Kritik.
Ich denke, ich kann nicht vollständig leugnen, dass einige Punkte zu einem gewissen Grad zutreffen. Es liegt ganz sicher nie in meiner Absicht, mich herablassend zu äußern. Aber ich kann mir vorstellen, dass die eine oder andere Beschreibung aus meiner privilegierten Ausgangsposition heraus so rüberkommt. Das tut mir leid.
Allerdings kann ich einen Teil deiner Vorwürfe direkt zu dir zurückspiegeln. Meiner Auffassung nach hast du Dinge in meinen Bericht hineininterpretiert, die auf deiner Erwartungshaltung und deinen Vorurteilen basieren und die ich so nicht geschrieben habe. Wir haben ganz bestimmt keine Zustände wie auf Mallorca erwartet (wo wir, nebenbei bemerkt, noch nie waren). Im Gegenteil haben wir uns um größtmögliche Offenheit bemüht. Und ich denke auch, dass uns das besser als den meisten anderen Menschen gelungen ist, die ohne familiäre Bindungen oder eine Arbeit, die sie gründlich auf die Zustände vorbereitet hat, zum ersten Mal auf dem Balkan unterwegs sind. Ganz objektiv liegt doch vieles im Argen in ganz Bosnien-Herzigowina, auf dem gesamten Balkan. Und ja, den Kreis kann man immer weiter ziehen, bis er die ganze Welt einschließt. Nirgendwo ist es perfekt, ganz entschieden auch nicht in Deutschland. Das ist aber nicht Zweck meines Erfahrungsberichts, Missstände anderswo zu benennen oder ein Ranking aufzustellen. Wie ich im Text ja auch anklingen lasse, halte ich es für völlig nachvollziehbar, dass die Dinge in Srpska sind, wie sie sind. Ich erwarte nicht, dass es gefälligst besser zu laufen habe, wirtschaftlich, mentalitätsmäßig, touristisch, wie auch immer. Ich war einfach nur gespannt, wie es ist, und ja, es sah traurig aus und war nicht „schön“ im engeren Sinne. Interessant war es, und ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Es waren Erlebnisse wie diese, die mich nach unserer Rückkehr dazu bewogen haben, nicht gleich wieder in mein sorgloses Alltagsleben zurückzukehren, sondern mich irgendwie für eine gerechtere Welt einzusetzen. Leider ist das meiste davon doch wieder verpufft im Alltag, aber immerhin habe ich zwei Jahre lang ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe gearbeitet (bis die konkrete Aktion für beendet erklärt wurde und die Nachfolgeprojekte für mich logistisch nicht mehr in Frage kamen).
„Wenn man derartig von Hass und Krieg zerrüttete Länder besuchen will, sollte man sich ausreichend informieren“, schreibst du. Damit gehe ich konform. Mein Erfahrungsbericht ist als Beitrag genau dafür gemeint. Als ein Mosaikstein.