[Reiseblogger-Kooperation] Zeitz? Nie gehört. „Doch“, sagt Martin, „Zeitz sagt mir was. Das war da, wo ich neulich zur Schulung war, wo ich vom Hotel aus nur auf Industriebrachen und Ruinen gucken konnte.“ Ah ja, ich erinnere mich. „Wo du gesagt hast, da möchtest du nicht tot am Zaun hängen?“ vergewissere ich mich. Dieser Ausdruck ist in unserer Familie für die abstoßenderen Orte reserviert. Mein Mann nickt. „Was ist denn mit Zeitz?“ fragt er argwöhnisch. Ich strahle ihn an. „Da fahren wir hin! Die wollen uns zeigen, wie schön die Stadt ist.“
Dies ist der dritte und letzte Teil unserer Mini-Serie über die drei Residenzstädte in Sachsen-Anhalt: Merseburg, Weißenfels, und nun eben Zeitz.
Als wir in Zeitz eintreffen, hat Sachsen-Anhalt als Reisedestination in unseren Augen schon einiges an Boden gutgemacht. Weißenfels hat uns ausnehmend gut gefallen, Merseburg mit Dom und Museum (und dem bombastischen Hotelfrühstück) hat uns regelrecht geflasht. An Tag drei unserer Expedition in Deutschlands unbekannten Osten sind wir an schaurige erste Eindrücke und anschließende positive Überraschungen schon regelrecht gewöhnt.
Taschenlampenführung in der Brikettfabrik Herrmannschacht
Unser erster Programmpunkt in Zeitz ist der Herrmannschacht. Der Name ist irreführend, denn Bergbau-Schächte gibt es hier überhaupt nicht. Die Kohle wurde immer im Tagebau unweit der Stadt abgebaut (und wird es bis heute).
Bis 1959 produzierte die Brikettfabrik und versorgte vor allem die benachbarte Zuckerfabrik, welche bis heute einer der größten Arbeitgeber in Zeitz ist (und der Grund, warum Martin schon mal hier war). Der Herrmannschacht gilt als die älteste erhaltene Brikettfabrik der Welt.
Wir sind hier für eine Taschenlampenführung angemeldet. Bis es los geht, erkunden unsere Jungs das Außengelände des Industriedenkmals. Besonders die alten Loks, die früher die Rohkohle aufs Fabrikgelände schafften, haben es ihnen angetan. Natürlich. Aus irgendeinem Grund steckt wohl in jedem Jungen ein verkappter Lokführer.
Dann dürfen sich die beiden eine Taschenlampe aussuchen, und wir Eltern auch. Gemeinsam mit unserer Museumsführerin betreten wir das Fabrikgebäude, das beinahe vollständig abgedunkelt ist. Nur durch einzelne Ritzen drängt der strahlende Sonnenschein von draußen.
„Und, findest du es unheimlich?“ frage ich Silas, den Kleinen. Im Schein der Lampe sehe ich, wie der 10-Jährige mit den Augen rollt. „Es ist höchstens spannend, Mama“, belehrt mich sein großer Bruder.
Tatsächlich ist die Taschenlampenführung gerade für Kinder super gemacht. Die Lichtkegel führen unsere Blicke gezielt auf bestimmte Aspekte der Industriegeschichte. Die Jungs nutzen ihre Lampen, um versteckte Schatzkisten zu finden, in denen sich Rätsel und Schätzaufgaben verbergen. Und am Ende der kurzweiligen Tour haben wir trotzdem einen guten Überblick, was hier auf welche Weise all die Jahre produziert wurde. Martin, von Berufs wegen wohl mehr an der Technik interessiert als der Durchschnittsbesucher, ist sehr zufrieden mit den umfassenden Antworten, die er auf seine Fragen bekommt. Ich bin entzückt von dem museumspädagogischen Konzept. Und die Jungs haben einfach eine Menge Spaß.
Die Brikettfabrik Herrmannschacht Zeitz kann nur im Rahmen einer Führung besichtigt werden. Reguläre („helle“) Führungen gibt es von April bis Oktober mittwochs bis sonntags und an Feiertagen jeweils um 10, 13 und 15 Uhr. Erwachsene zahlen 5 Euro, Kinder die Hälfte. Öffentliche Taschenlampenführungen finden zu bestimmten Terminen statt, die man am besten der Homepage entnimmt.
Stadtspaziergang durch Zeitz
Wir fahren in die Innenstadt und parken kostenlos in der Nähe des Zentrums. Bis zu unserem nächsten Programmpunkt im Museum haben wir noch reichlich Zeit. Also stromern wir durch die Straßen und machen uns ein Bild von der Stadt, über die Martin bereits so ein hartes Urteil gesprochen hat.
Knapp 30.000 Einwohner leben in Zeitz. 1960 waren es noch 45.000. Mit der Wende und der danach folgenden De-Industrialisierung setzte ein Bevölkerungsrückgang ein, der dem Stadtbild recht dramatisch zusetzte. Leerstand und Verfall prägen Straßenzüge und ganze Viertel. Da gibt es wenig schönzureden.
Aber! Zeitz ist nicht nur ein Paradies für Freunde des shabby chick und der lost places Fotografie. Der Großteil der Innenstadt ist durchaus vorzeigbar. Viele Häuser aus Barock und Gründerzeit sind hübsch renoviert.
Nach einem einladenden Café, das an diesem Sonntagmittag geöffnet hat, müssen wir allerdings eine Weile suchen. Wir landen schließlich im Eiscafé Millenium am Neumarkt. Noch einmal erfreuen wir uns am ausgesprochen niedrigen Preisniveau der sachsen-anhaltinischen Provinz (große Eisbecher für unter fünf Euro!). Und lecker ist es auch noch.
Aschenputtel, komm mal klar und zieh dir dein Kleid an!
Als wir mit einem Zeitzer ins Gespräch kommen, erfahren wir, dass die Stadt in der Region und vor allem auch bei ihren Einwohnern ein echtes Image-Problem hat. Ich schätze, die Angelegenheit ist vielschichtig und hat sich über Jahrzehnte zugespitzt. Aber, ganz ehrlich, liebe Zeitzer: Eure Stadt hat wirklich schöne Seiten und muss sich hinter anderen Ausflugszielen gar nicht verstecken!
Bei unserem Stadtspaziergang haben wir allerdings zunehmend das Gefühl, dass Zeitz genau das tut. Immer wieder stoßen wir durch Zufall auf nette Ecken, auf die uns im Vorhinein nichts aufmerksam gemacht hätte. Und erst zu Hause wird uns klar, dass wir die absolute Perle von Zeitz – das (nach wie vor kostenpflichtige) Gelände der Landesgartenschau von 2004 – tatsächlich übersehen haben. Nun sind wir nicht gerade bekannt für zielsicheres Auffinden von Hauptsehenswürdigkeiten (eher dafür, dank unserer Neugier jedes Mal in den hinterletzten Hinterhöfen zu landen). Aber wir sind zwei Stunden durch die Stadt gelaufen, ohne mit der Nase auf die weitläufige Parklandschaft gestoßen zu werden, die sich hinter Schloss Moritzburg verbirgt.
Allein marketingmäßig ist da viel Luft nach oben.
Der Schlosspark Moritzburg Zeitz ist von Anfang April bis Ende Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Es gibt keine eigene Homepage und auf der Webseite der Stadt nur wenige Infos, aber auf der des Gartenträume-Projekts von Sachsen-Anhalt gibt es immerhin einen Parkplan und etwas geschichtlichen Hintergrund.
Schloss Moritzburg und seine Geschichte
Die wichtigste der Sehenswürdigkeiten in Zeitz finden wir aber auf Anhieb: Schloss Moritzburg mit seinem Museum.
Das barocke Schloss mit zwei mächtigen Seitenflügeln und Torhaus sowie Befestigungsanlagen entstand ab 1657, nachdem Herzog Johann Georg I. von Sachsen sein Reich unter vier Söhnen aufgeteilt hatte. Moritz, der jüngste, begründete hier die Seitenlinie Sachsen-Zeitz.
Nach 21 Jahren Bauzeit wurde Schloss Moritzburg fertiggestellt. Moritz selbst hatte nicht mehr viel von dem Prachtbau, denn er starb schon drei Jahre später. Sein einziger Sohn Moritz Wilhelm bewohnte das Schloss mit seiner Familie. Da als einziges seiner fünf ehelichen Kinder nur Tochter Dorothea Wilhelmine das Erwachsenenalter erreichte, fiel das Teil-Reich gemäß großväterlichem Testament wieder an das Stammhaus Sachsen zurück (genau wie es wenig später auch den Linien von Merseburg und Weißenfels erging).
Gerade einmal 40 Jahre lang also war Schloss Moritzburg adlig bewohnt. Die Nachnutzung gestaltete sich weit weniger prunkvoll. So diente der barocke Palast im Laufe der Jahrhunderte unter anderem als Armenhaus, Gefängnis und Arbeitsamt. 1931 richtete der Geschichts- und Altertumsverein der Stadt Zeitz eine Ausstellung im Südflügel ein. Während des zweiten Weltkriegs musste das Schloss jedoch als Zwangsarbeiterlager und später als Flüchtlingsunterkunft herhalten. Seit mehr als 70 Jahren ist es nun wieder ein Museum.
Deutsches Kinderwagenmuseum Zeitz
Wir betreten Schloss Moritzburg heute vor allem, weil wir wissen wollen, ob ein Kinderwagenmuseum sich wirklich als Ausflugsziel lohnt. Ich meine: ernsthaft? Ein ganzes Museum für so etwas Profanes wie Kinderwagen?
Auf unserer Tour durch das Schloss lernen wir aber ganz schnell, dass es keineswegs nur um Transportmittel für Kleinkinder geht. Zuerst einmal führt uns Museumsführerin Erika Weyrauch durch die herrschaftlichen Räume, die ganz im Zeitgeschmack Herzog Moritz Wilhelms eingerichtet sind. Natürlich gehörten die Antiquitäten nicht wirklich denen von Sachsen-Zeitz. Es sind Spenden und Ankäufe des Museums. Aber sie geben uns ein Gefühl für das richtige Damals. Und die Jungs vergnügen sich damit, die Märchen zu erraten, die in jedem Raum versteckt sind (und ja, auch Aschenputtel ist dabei).
Dann aber geht es zu den Kinderwagen. Ein Film führt uns ins Thema ein und erklärt uns, warum Zeitz die natürliche Wahl für ein Kinderwagenmuseum ist. Hier nämlich gründete Ernst Albert Naether in den 1850er Jahren die erste deutsche Kinderwagen-Manufaktur. Das Familienunternehmen entwickelte sich zur veritablen Fabrik und blieb lange deutscher Marktführer. Nach der Verstaatlichung in der DDR produzierten die Zeitzer weiter. Der VEB Zekiwa war zeitweise die größte Kinderwagenfabrik Europas.
Sowohl Produkte aus der frühen Naether-Zeit als auch DDR-Modelle sehen wir uns in der Ausstellung an. Auch ausländische Varianten gibt es, Luxuskarossen ebenso wie Kuriositäten, 380 insgesamt. Wir lernen, dass man Kinderwagen anfangs zog statt schob und dass die Wagen im 19. Jahrhundert zeitweise ein Nummernschild vorweisen mussten.
Also, ja, lohnt sich durchaus, da mal einen Blick rein zu werfen. Ich habe so einige spannende Dinge erfahren, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte.
Das Museum Moritzburg ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet (November bis März täglich außer montags von 10 bis 16 Uhr). Der Eintritt kostet 5 Euro für Erwachsene, für Kinder bis 14 Jahre 3 Euro. Eine Familienkarte (2+3) gibt es für 12 Euro. Bis zum 1. November gibt es die Sonderausstellung „Dialog der Konfessionen“.
Unser Fazit zum Sightseeing in Zeitz
Stell dein Licht nicht so unter den Scheffel, Zeitz! Du bist nicht perfekt, aber du hast Qualitäten. Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein wäre angebracht. Warum zum Beispiel fängt der Abschnitt über Sehenswürdigen im Wikipedia-Artikel über Zeitz damit an, dass ein Theater abgerissen wurde? Warum steht da nicht, wie toll das Schloss ist, wie spannend der Herrmannschacht, wie nett renoviert der Großteil der Innenstadt, und dass man den Schlosspark nicht verpassen darf?
Wir hatten einen schönen Tag in Zeitz. Wer in der Nähe oder auf der Durchreise ist, sollte der Stadt eine Chance geben und ihre geheimen schönen Ecken erkunden!
Mehr Ausflugsziele in Deutschland
Mehr (teils ebenfalls ungewöhnliche) Ausflugsziele in ganz Deutschland gibt es auf unserer Deutschlandkarte. Zeitz hat die große Ehre, Eintrag Nummer 100 zu sein! :)
Transparenzhinweis: Wir waren auf Einladung der Tourismusförderung von Merseburg, Weißenfels und Zeitz unterwegs. Die Taschenlampenführung und der Museumseintritt waren für uns kostenlos. Unsere Meinung hat das nicht beeinflusst, es gab keine Vorgaben – das übliche.
Mal ein dickes Dankeschön für Ihren Besuch in Zeitz und diesen Beitrag.
Gerne! Hat Spaß gemacht. :)