Wer in Deutschland verreist, will meist entweder ans Meer oder in die Berge, zu kulturellen Höhepunkten in die großen Städte oder in Gegenden von herausragender landschaftlicher Schönheit. Aber ins Saarland, ganz links außen auf der Landkarte? Da ist doch nichts Besonderes, oder? Zugegeben, wir sind auch nur hingefahren, weil uns das Unbekannte lockte. Gefunden haben wir ein hübsches Fleckchen mit einer ausgesprochen netten, unaufgeregten Landeshauptstadt. Ein Reisebericht aus dem zu Unrecht touristisch weitgehend ignorierten Saarbrücken.
So ein bisschen haben wir schon den Eindruck, als sei die Welt hier zu Ende. Zumindest die Autobahn ist es, die A1 verwandelt sich einfach in eine Bundesstraße und führt uns mitten ins Stadtgebiet hinein. Viel Zeit für einen gründlichen ersten Eindruck bleibt nicht, denn flugs führt uns unser Navi vor die Haustür der schönen Altbauwohnung, in der unsere Couchsurfing-Gastgeber wohnen. Im Sommer ist die Familie bereits bei uns zu Gast gewesen, und das Wiedersehen fällt entsprechend herzlich aus. Die Jungs entern gleich nach dem Essen das Zimmer von Elie und schwelgen in Lego. Wir Großen holen uns bei einem Glas Wein Tipps für die kommenden beiden Tage bei unseren Gastgebern. Sandrine kennt das Saarland aus Touristenperspektive, denn sie kommt ursprünglich aus dem benachbarten Frankreich. Jörg dagegen ist gebürtiger Saarländer und kennt alle Eigenheiten seiner Landsleute. Die beiden großen Jungs, Jules und Elie, wachsen zweisprachig auf und besuchen das Deutsch-Französische Gymnasium. Bis zur Grenze dauert es vom Stadtzentrum aus gerade einmal zehn Minuten. Trotzdem ist es keineswegs so, dass Saarbrücken unter starkem französischem Einfluss stehe, betonen die beiden. „Die meisten Saarländer sprechen ein grauenhaftes Französisch, oder gar keins“, attestiert Sandrine.
Am nächsten Morgen führt sie uns durch ihre Wahlheimatstadt. Eine ernstzunehmende Großstadt ist Saarbrücken erst geworden, so lernen wir, als die drei Städte Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach 1909 zusammengeschlossen wurden. Trotzdem blickt der Ort auf eine lange Geschichte zurück. Schon keltische Stämme siedelten auf dem heutigen Stadtgebiet, später die Römer. Das „castellum Sarabrucca“ erwähnt erstmals eine Urkunde, mit der Kaiser Otto III. dieses 999 dem Bischof von Metz zum Geschenk macht. Aus der mittelalterlichen Blütezeit ist praktisch nichts erhalten, da der 30-jährige Krieg der Stadt immens zusetzte und sie im fast nahtlos anschließenden Niederländisch-Französischen Krieg 1677 so gut wie komplett abbrannte. Das heutige Stadtbild ist deshalb vom Barock geprägt – zumindest in der Altstadt, wo es nach der gründlichen Ausbombung im Zweiten Weltkrieg wieder im alten Stil aufgebaut wurde.
Sandrine stellt uns Friedrich Joachim Stengel vor, der auf Infotafeln, Straßenschildern und später im Museum allgegenwärtig ist. Der Baumeister des 18. Jahrhunderts hat sich hier gründlich ausgetobt, ein geschlossenes Konzept mit Sichtachsen links und rechts der Saar umgesetzt. Als sein Glanzstück zählt die Ludwigskirche, und auch das Residenzschloss ist nach seinen Plänen errichtet worden. Heute ist in dem Prunkgebäude die Verwaltung untergebracht, und seit einem mittigen Bombentreffer hat sich die Sache mit dem Prunk auch relativiert. Der Versuch, moderne Fassaden an die historische Bausubstanz anzupassen, ist bei vielen Saarbrückern nicht besonders gut angekommen, berichtet Sandrine. Wir besichtigen das Gebäude auch von innen und sind recht positiv überrascht.
Gleich nebenan befindet sich das Historische Museum Saar. Unsere Stadtführerin hat uns vor allem die unterirdischen Teile der Festung aus Mittelalter und Renaissance empfohlen. Unter dem weitläufigen Schlossvorplatz befinden sich die Kasematten, die beschusssicheren Festungsgewölbe, deren Geschichte sich heute mit einer beeindruckenden Multimedia-Show erleben lässt. Wir tauchen ab in eine stimmungsvoll beleuchtete Felskluft, blicken die steile Burgmauer empor und stehen schließlich diversen Belagerungswaffen gegenüber. Die Jungs sind Feuer und Flamme. Besonders gut gefallen uns die Hörspiele, die sich an diversen Stationen per Buzzer starten lassen. In unterhaltsame Geschichten verpackt erfahren wir so interessante Aspekte über Bau und Nutzung einer Festung im Wandel der Zeit. Geschichte vermitteln, so dass es Spaß macht und man trotzdem was lernt – hier unten ist das vorbildlich gelungen!
Leider gilt das für den oberen Teil des Museums nur eingeschränkt. Gut möglich, dass es daran liegt, dass uns nach der ausgiebigen Erkundung der Gewölbe nur noch wenig Zeit bleibt. Der Zugang zur neuzeitlichen Geschichte Saarbrückens gelingt uns aber nicht so recht. Spotlight-mäßig erfahren wir in hübsch gestalteten Vitrinen und reizvoll an den Lebensgeschichten bestimmter Menschen festgemacht etwas über die Organisation der Bergleute, die Erinnerungskultur der Spichern-Schlacht, dieVereinslandschaft im 19. Jahrhundert. Aber was ist das Saarland eigentlich, wo kommt es historisch gesehen her? Wie lässt es sich zu welcher Zeit ins historische Gesamtbild einordnen? Mir fehlt es entschieden an Systematik. Die Ausstellungsräume zum Ersten Weltkrieg und alles, was danach kommt, sehen klasse aus, aber inzwischen sind wir so in Eile, dass wir nur noch stichprobenartig in die Exponate eintauchen und uns über die tatsächliche Informationsvermittlung kein Urteil mehr erlauben dürfen. So landet das Museum auf der langen Liste derer, die ich mir irgendwann unbedingt noch ein zweites Mal ansehen möchte.
Über die Alte Brücke machen wir uns auf den Rückweg und legen noch einen Stopp an einem schönen großen Spielplatz direkt am Saar-Ufer ein.
Ein weiterer grandioser Ausflug führt uns zur Völklinger Hütte, dem komplett zugänglichen Eisenwerk, das die Unesco nach seiner Stilllegung 1994 als erstes als Industriedenkmal-Weltkulturerbe ausgezeichnet hat. Das war aber ein dermaßen packendes Erlebnis, dass es einen eigenen Blogpost verdient.
Meine Tipps für Saarbrücken
Wer Saarbrücken besucht, sollte sich auf jeden Fall viel mehr Zeit als wir für einen ausgiebigen Stadtbummel in den zahlreichen kleinen Lädchen, Boutiquen und Cafés im alten St. Johann nehmen.
Das Residenzschloss ist während der Öffnungszeiten der Verwaltung frei zugänglich, vom großen Saal aus hat man einen netten Blick entlang der Stengel’schen Sichtachsen.
Das Historische Museum Saar ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet (samstags erst ab 12, dafür donnerstags bis 20 Uhr). Eine Familienkarte kostet 9 Euro; einzelne Erwachsene zahlen 5, Kinder im Vorschulalter dürfen gratis mitkommen. (Richtig gute Preispolitik übrigens, finde ich: Zwei Erwachsene zahlen weniger, wenn sie ihre Kinder mitbringen. Was in Skandinavien Standard ist und schlichtweg der Lebensrealität Rechnung trägt, dass Bildungs- und Erziehungsarbeit zulasten des eigenen Amüsements gehen, ist offenbar endlich auch in Deutschland angekommen – yay!)
Wer sonntags mit Kindern in Saarbrücken ist, der sollte um 11.00 h das Schlossgespenst Lilli im Saarbrücker Schloss besuchen. Eine wirklich kindgerechte, interessante und sogar kostenloste Führung für Kinder ab 3 – die Eltern dürfen natürlich mit
Danke für den Tipp!
[…] mehr als einen ersten Eindruck von der Region zu gewinnen.Unser erster Eindruck von der Hauptstadt Saarbrücken ist eher so mittelmäßig. Damit meine ich nicht schlecht, sondern eben – mittelmäßig. […]