Unsere Jugendherberge ist vermutlich die schönste Großbritanniens.

Sie zu finden allerdings kostete einiges an Mühe. „Etwa drei Meilen hinter Dorking geht ein Fußweg von der Hauptstraße ab. Von hier aus ist es noch eine Dreiviertelmeile, die zu Fuß zurückgelegt werden muss“, hieß es in der Beschreibung. Bis wir besagte Abzweigung gefunden haben, trudeln wir durch die Brust ins Auge, kriegen dabei aber wenigstens die hübsche Landschaft mit den sanften Hügeln und den putzigen Häuschen im Puppenhausstil zu Gesicht. Ein netter Spaziergänger mit Hund lotst uns im letzten Tageslicht schließlich in die richtige Richtung. Zum Entladen dürfen wir über den holprigen Waldweg bis direkt vors Gebäude fahren. Auf dem Weg begegnen uns in nächster Nähe zwei Rehe.

The way to our first youth hostel leads into the wood - on foot.

Der Weg zum Hostel – darf nur zum Be- und Entladen befahren werden.

Nach dem Entladen müssen wir den Wagen auf dem Wanderer-Parkplatz an der Hauptstraße abstellen, was uns für drei Tage schlappe 20 Pfund kostet (was beim derzeitigen Kurs etwa 23 Euro entspricht). Trotzdem ist es so viel schöner, hier draußen in der Natur zu wohnen! Ich bin froh, dass wir uns keine teure, laute und schmutzige Unterkunft in London gesucht haben. Für weitere 22 Pfund sind wir alle vier innerhalb einer Stunde in der Londoner Innenstadt und können den ganzen Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln herumfahren. Das machen wir morgen.

Heute genießen wir noch die Stille mitten im Wald. „Tanner’s Hatch“ ist ein wildromantisches Cottage, das einzige Gebäude weit und breit. Das heißt, irgendwo den Hügel hoch soll es noch ein Herrenhaus geben. Wir müssen uns auf jeden Fall auch noch die Zeit nehmen, die direkte Umgebung hier zu erkunden. 1946 nahm sich der englische Jugendherbergsverband der Ruine an, die „Tanner’s Hatch“ damals war. Mit viel Freiwilligenarbeit wurde das Haus renoviert und als Hostel in Betrieb genommen.

Our favourite youth hostel in England. Tanner's Hatch.

Tanner’s Hatch.

Jugendherbergen unterliegen in Großbritannien einem anderen Selbstverständnis als in Deutschland. Während sie zu Hause vor allem Schulklassen und Jugendgruppen als Unterkunft dienen, nächtigen hierzulande traditionell Alleinreisende und Wanderer in den Herbergen. Seit unseren ersten Begegnungen mit den youth hostels vor elf Jahren hat sich einiges geändert: Der Trend geht zur effizienten Massenabfertigung in Großstädten, wo all die zu Backpackern mutierten Studenten in ihrem lebenslauffreundlichen gap year absteigen und so viele hochkulturelle Sehenswürdigkeiten wie möglich auf den Seiten ihres Lonely Planets abhaken. Die urigen kleinen Herbergen mit Seele sterben aus. „Tanner’s Hatch“ ist ein Hostel vom alten Schlag. Hier gibt es keine Allergikerzimmer mit eigenem Bad, sondern einen Schlafsaal für Männer und einen für Frauen – punkt. Toiletten und Duschen befinden sich im umgebauten Schafstall nebenan. Wir haben Glück: Außer uns ist ein Bauarbeiter von den westindischen Inseln der einzige Gast. Andrew, der freundliche Manager Ende 50, erlaubt uns, den Frauenschlafsaal zum Familienzimmer umfunktionieren.

Nachdem wir unsere diversen Reisetaschen irgendwo zwischen den fünf Etagenbetten verstaut haben, fügen wir uns in die klassische Arbeitsteilung: Ich koche, Martin kümmert sich um das Auto. Er nimmt die Kinder mit, die nach der langen Autofahrt eine Nachtwanderung gut gebrauchen können. Während Martin sich mit dem ausländerfeindlichen Parkautomaten rumärgert (der unser Kennzeichen wissen möchte aber auf eine britische Zahlen-Nummern-Abfolge besteht), machen die Jungs die Bekanntschaft einiger Hobby-Astronomen, die den spätabendlichen Parkplatz weit abseits der Stadt zum Aufbau ihrer Teleskope nutzen. „Ich hab die Venus gesehen, ganz nah!“ verkündet Janis freudestrahlend, als sie mehr als eine Stunde später endlich durch den nächtlichen Wald gestapft kommen und sich am Abendbrotstisch niederlassen. Schnell schaufeln sie ein paar Nudeln mit Tomatensoße hinunter, denn sie sind buchstäblich zum Umfallen müde. Noch während Martin und ich unser Abendessen beenden, schlafen beide auf den Sofas im Wohnzimmer ein.

Nicht mehr geschafft bis ins Bett.

Inzwischen haben wir sie die Treppe hinauf in den Schlafsaal gewuchtet. Martin sucht die richtige Verbindung nach London für morgen raus. Und ich geh jetzt ins Bett. Spät genug ist es.

 

Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 11. August 2013 verfasst. Mehr England-Reiseberichte aus jenem Familienurlaub inklusive Karte gibt es in unserem England-Inhaltsverzeichnis. Der chronologisch nächste Artikel ist dieser: