Wer bei seiner Schottland-Rundreise von Edinburgh oder Glasgow Richtung Oban an die Westküste fährt, kommt auf der A85 zwangsläufig am Loch Awe vorbei. Hier liegen zwei wunderbare kurze Zwischenstopps dicht beieinander: Kilchurn Castle und die hübsche St. Conan’s Kirk mit der merkwürdigen Geschichte, über die ich in diesem Blogbeitrag ein bisschen was erzählen möchte.
Die Jungs und ich sind auf unserem Roadtrip durch Schottland unterwegs, als uns ein kleines Schild an der Straße auf die St. Conan’s Kirk aufmerksam macht. „Historic Building – open to visitors“ sagt es.
Geheimtipp St. Conan’s Kirk
Vor gerade einmal fünf Minuten sind wir nach der ausführlichen Besichtigung der schaurig-schönen Burg-Ruine von Kilchurn Castle wieder ins Auto gestiegen. Wir wollen nach Oban, von wo aus die Fähren auf die schottischen Inseln ablegen – aber wir müssen heute kein Boot mehr kriegen, wir haben Zeit. Also parke ich in einer der Haltebuchten längs der Straße, denn durch die Büsche lockt uns ein stattliches Gemäuer.
Also, Silas und mich lockt es. Janis widersteht der Versuchung historischer Gebäude souverän (zu diesem frühen Zeitpunkt unseres Urlaubs stapeln sich nämlich noch etliche ungelesene Bücher im Fußraum, denen er sich zu gerne ungestört widmen möchte). Also gut, der Teenager bleibt im Auto, während sein kleiner Bruder und ich mal gucken gehen.
Trotz Hauptsaison sind wir die einzigen Besucher.
Im Torhaus schließt gerade ein kleiner Tea Room. Bis zum frühen Nachmittag gibt es hier anscheinend Kaffee in Pappbechern und ein paar Snacks auf die Hand. Eintritt kassieren möchte niemand, also nicken wir dem Verkäufer nur im Vorbeigehen zu.
Dann fängt uns die St. Conan’s Kirk ganz schnell mit ihrem speziellen Zauber ein. Bevor wir das Gotteshaus betreten, gelangen wir in eine Art Innenhof (was unlogisch klingt, aber genau so ist es tatsächlich). Ein Kreuzgang, eingerahmt von blumengeschmückten Eichenbalken statt Säulen, umfasst einen geschotterten Platz, in dessen Mitte auf einer kleinen Stele ein denkbar unscheinbarer Stein ruht.
Merkwürdig.
Die Geschichte der St. Conan’s Kirk
An der Wand des Kreuzgangs erhalten wir auf mehreren Infotafeln einiges Wissen über diese ganz spezielle Kirche. Die Holzbalken, so erfahren wir, gehörten zu ausgemusterten Schlachtschiffen der britischen Marine, zur Caledonia und zur Duke of Wellington.
Viel spannender ist aber die generelle Entstehungsgeschichte der St. Conan’s Kirk. Ein Herr namens Sir Walter Douglas Campbell fasste den Entschluss, zeichnete die Pläne und legte selbst Hand an, bis zum geschnitzten Orgelschmuck. Ein bisschen komisch soll er gewesen sein, jüngerer Bruder aus einer einflussreichen Familie bei Glasgow, der sich eine Insel weiter unten im Loch gekauft und darauf ein Herrenhaus errichtet hatte. (Silas und ich, beide brennende Harry-Potter-Fans, sind uns schnell einig: Der Mann muss ein Magier gewesen sein.)
Sir Walters Mutter, die mit ihm und seiner Schwester Helen in die damals menschenleere Gegend Schottlands gezogen war, fand den Weg zur Kirche ins sieben Meilen entfernte Dalmally so mühsam, dass ihr Sohn ihr eine Kirche um die Ecke bauen wollte. Professioneller Architekt war er nicht, aber er verstand doch genug von der Materie, um ein zuerst bescheidenes, letztlich ausuferndes Konstrukt zu schaffen, dessen Bau in mehreren Phasen von 1881 bis 1930 dauerte.
Eklektische Kirche für Exzentriker
Für die Gestalt und Ausschmückung seines ganz persönlichen Gotteshauses bediente sich Walter Douglas Campbell des damals modernen Eklektizismus – was so viel heißt wie: Er suchte sich aus allen vergangenen Epochen die Rosinen raus, die ihm am besten gefielen.
Der Legende nach lautete sein erklärter Plan, in der St. Conan’s Kirk Elemente aus jeder einzelnen Stilrichtung unterzubringen, in der je in ganz Schottland irgendeiner Kirche erbaut wurde.
Den bunten Stilmix, der dabei herausgekommen ist, finden sowohl ich als auch mein 10-Jähriger ganz bezaubernd. Eigentlich ist es eine über hundert Jahre alte Fantasie-Kulisse, die aber tatsächlich ganz enorme Wirkung entfaltet.
Durch das Portal schlendern wir in das steinerne Gebäude. Ebenso ungewöhnlich wie ihre Geschichte ist der Grundriss der Kirche. Als erstes stehen wir vor zwei kleinen Kapellen, der von St. Conval und der von St. Bride. Beide sind, wie auch der Namensgeber der gesamten Kirche St. Conan, frühchristliche Heilige, die Schottland von Irland aus ab dem fünften Jahrhundert missionierten. Sir Walter soll für diese Zeit ein besonderes Faible gehabt haben. Die benachbarte Insel, auf der er sich niedergelassen hatte, soll damals St. Conan selbst eine Heimstatt gewesen sein.
Um zwei Ecken herum gelangen wir ins Hauptschiff der St. Conan’s Kirk. Durch ein Rosettenfenster über der Orgel (die mit der von Sir Walter handgeschnitzten Holzverkleidung) fällt gleißendes Sonnenlicht herein.
Wohlfühlort St. Conan’s Kirk
„Voll schön hier“, sagt Silas. „Richtig gemütlich. Ich könnte mir gut vorstellen, hier einzuziehen.“
In der Tat wirkt die Kirche auch auf mich sehr heimelig und gar nicht wie eine Kirche.
Silas und ich nehmen in einer Fensternische Platz. Die Steinbank ist ein bisschen kalt, aber davon abgesehen wäre das ein idealer Leseplatz.
„Ein bisschen wie Hogwarts, oder?“ frage ich meinen Sohn. Der nickt begeistert.
„Und hier ist das Esszimmer“, sagt Silas, als er wenig später den Altarraum betritt. Auch der ist lichtdurchflutet. In seiner Mitte steht ein schlichter, massiver Holztisch mit einem kleinen Kreuz darauf.
Der tote König ist ein Fake
Hinter der Treppe zur Krypta (nicht zugänglich) finden wir noch die Bruce-Kapelle. Vor einem gotisch anmutenden Spitzbogenfenster ruht hier ein steinerner Toter auf einem mächtigen Sarkophag. Die Kiste unter ihm ist leer, hier ist niemand begraben. Es geht um Robert the Bruce, den mittelalterlichen König, der Schottland (für sehr überschaubare Zeit) die Unabhängigkeit brachte. Ganz in der Nähe soll sich ein entscheidendes Kapitel jener Geschichte abgespielt haben. Robert the Bruce verehrte Sir Walter ebenso wie die frühchristlichen Heiligen und setzte ihm in dieser Form ein Denkmal.
Buchstäblich ein Splitter Wahrheit soll aber doch dabei sein. In guter Tradition christlicher Leichenfledderei Reliquien-Verehrung soll ein kleines Stück Schädel des toten Königs seinen Weg in die St. Conan’s Kirk gefunden haben.
Praktische Informationen zur St. Conan’s Kirk
Adresse fürs Navi: Postcode eingeben und nach dem kleinen Schild Ausschau halten: PA33 1AQ . Achtung: Die Kirche liegt an einer langgezogenen Kurve.
Öffnungszeiten: St. Conan’s Kirk ist nach Aussagen der englischen Homepage im Sommer von 9 bis 18 Uhr geöffnet, im Winter bis 17 Uhr.
Eintritt: Der Eintritt ist frei (Spenden willkommen).
Café: Der Tea Room im Gatehouse ist von Mai bis September von 10 bis 16 Uhr geöffnet.
Toiletten: gibt es (nur) im Café.
Für Kinder: Auf der Homepage habe ich den Hinweis gefunden, dass das Gatehouse Café einen Quiz für Kinder über das Gebäude bereithält (nicht selbst ausprobiert).
Mehr Infos zur St. Conan’s Kirk: Als ich schon halb fertig war mit meinem Blogbeitrag, bin ich auf die Beschreibung auf myhighlands.de gestoßen und habe festgestellt, dass ich den Artikel gar nicht hätte schreiben brauchen, weil da eigentlich schon alles steht. Und schöne Fotos – auch von der Südseite Richtung See – gibt es da auch. Überhaupt ist es eine schöne und informative Seite für Schottland-Fans und Schottland-Reisende. Tipp!
Mehr Schottland bei family4travel
Die ganze Geschichte unserer Schottland-Rundreise mit Kindern im Sommer 2017 gibt es hier:
Alle unsere Erfahrungsberichte aus Schottland sind hier zu finden:
Und dann gibt es natürlich noch unseren Reiseführer „Schottland mit Kindern“. Neben vielen Tipps für familienfreundliche Ausflugsziele – wie der St. Conan’s Kirk – liegt unser Fokus dabei auf Wanderungen, die auch Kindern echten Spaß machen. Mit genauer Wegbeschreibung, Karten und Koordinaten zum Parkplatz.
Aktuell arbeiten wir an der zweiten Auflage und kontrollieren dafür alle Touren. Wichtige Änderungen notieren wir bis zum Druck der Neuauflage im Blog des Naturzeit-Verlags.
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