Viljandi ist die Stadt nahe dem Viljandi Nationalpark. Ein Stadtbummel mit meinem Reisetagebuch im Anschlag.
Wir sitzen im schmucklosen Frühstücksraum unseres einfachen, aber sauberen Hotels in Tallinn. Martin geht es noch nicht wieder völlig gut, und so sehen wir halbherzig die Übertragung der Olympischen Spiele und lassen es langsam angehen. So hab ich wenigstens etwas Zeit, mit dem Schreiben aufzuholen.
Nach unserer Moorwanderung im Viljandi Nationalpark legte sich Martin mit seinen Kopfschmerzen hin, und ich bereitete die rituellen Käsespätzle für Kadri und ihre Mutter zu (und uns, versteht sich). Ein Glück, dass den Jungs das Essen noch nicht zu den Ohren rauskommt.
Abends setzte ich mich zu den beiden Frauen ins Wohnzimmer, wo Olympia im Fernsehen lief. Erstaunlich, wie sehr die Esten da mitfiebern. Schon in Tartu hatte uns das gesteigerte Interesse an den Sportübertragungen gewundert. Als nun ein estnischer Ringer eine der wenigen Medaillenhoffnungen des Landes enttäuschte, liefen bei Kadri und ihrer Mutter sogar Tränen.
Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns und fuhren nach Viljandi. Dieser Ort lässt sich schon eher als Stadt bezeichnen. Er ist mit 20.000 Einwohnern doppelt so groß wie unser Heimat-Kleinstädtchen Obernkirchen und damit die sechstgrößte Stadt Estlands. Unser Reiseführer ließ sich über die Ruinen der alten Ordensburg von Fellin (so der alte deutsche Name der Stadt) eher geringschätzig aus. Uns haben sie gefallen.
Die Jungs mochten vor allem die große Schaukel auf dem Vorplatz. Diese Dinger sind mir schon auf Saaremaa aufgefallen: große Gestelle aus Holz, auf denen mindestens sechs Leute Platz haben. Geschaukelt wird wohl meist im Stehen.
Anfangs nieselte es nur ein bisschen, aber nach und nach fing es richtig an zu pladdern. Die Jungs moserten, und schließlich lief Martin alleine los, um das Auto zu holen. Er war zwar gesundheitlich immer noch sehr angeschlagen, trug aber die beste Regenjacke von uns – und, ehrlich gesagt, hätte ich alleine wohl auch das Auto nicht gefunden… Die Jungs und ich suchten derweil Zuflucht in einer großen, heruntergekommenen Runddach-Halle, wo sich ein riesiger Trödelladen befand. Was für ein Spaß! Hier gab es alles, von Haushaltsgeräten über Geschirr, Fahrradteile und Fensterrahmen, Computerkomponenten, deutsche und französische Modemagazine aus den frühen 90er Jahren, Kleidung, Spielzeug, Schmuck, Schallplatten, Bücher – alles.
Durch den Regen fuhren wir auf Estlands Hauptstadt zu. Wir hätten Zeit gehabt, uns noch etwas anderes anzusehen, aber das Wetter machte keine rechte Lust darauf. Mittags erfüllten wir Martins Wunsch und hielten an einem der unzähligen „Hamburger/Kohv“-Imbissen, die mit Hamburgern und Kaffee handeln. Hier tat sich zum ersten Mal ein ernsthaftes Sprachproblem auf, denn die Lady hinterm Tresen sprach tatsächlich kein Wort Englisch, und auf der hinter ihr angeschlagenen Karte gab es auch keine Bilder. Wenn es schon Fastfood sein musste, dann wollte ich wenigstens kein frittiertes Fleisch. Mit Händen und Füßen versuchte ich das der mäßig entgegenkommenden Dame klar zu machen. Schließlich servierte sie mir einen Pappteller mit Pommes und etwas von dem Salat, der normalerweise in die Hamburger kommt. Seltsamerweise kostete das dann mehr als Martins Hamburger mit Pommes. Das Konzept Vegetarier existiert in Estland einfach nicht. Ich bin froh, dass ich kein ernsthafter Vertreter dieser Minderheit bin, denn solche werden in den Baltischen Staaten nicht glücklich.
Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 8. August 2012 verfasst.
Weiterlesen? –> Tallinn: Mein erster Eindruck.
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