„Und etwas außerhalb von Saarbrücken, aber auch noch sehr zu empfehlen, ist dann natürlich noch die Völklinger Hütte.“ Diesen Satz hatte uns unsere Couchsurfing-Gastgeberin Sandrine geschrieben, als wir locker per Mail das Programm für unseren Familien-Kurzurlaub in der saarländischen Landeshauptstadt planten. Der Begriff „Völklinger Hütte“ sagte mir, offen gestanden, überhaupt nichts. Ein kurzes Googeln ergab, dass es sich um ein altes Stahlwerk handelt. Klingt ja nicht so spannend, dachte ich. Oh, wie ich mich da geirrt habe! Zum Glück nämlich hatten alle alternativen Kulturprogramme montags zu, so dass wir letztlich doch im ersten Unesco-Welterbe der Industrie landeten – und einen der großartigsten Familienausflüge erlebten, an die ich mich erinnern kann.
Die Sonne scheint und lässt die Stahlpracht in rostigem Glanz erstrahlen. Was für ein Koloss von Fabrik! Schon auf dem Parkplatz kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es dauert, bis wir den richtigen Weg gefunden haben durch das Labyrinth aus pittoresk verfallenen Industriegebäuden und Backsteinfassaden. Schließlich landen wir am Eingang der Sonderausstellung und lösen unser Familienticket, das für die komplette Anlage gilt. Die Ausstellung zum Thema „Generation Pop!“ ist knallbunt und beeindruckend. Empfehlenswerter ist aber, den Haupteingang zu wählen und den Rundgang am vorgesehenen Startpunkt zu beginnen (Geheimtipp für ähnlich orientierungslose Menschen wie uns: Zum Haupteingang gelangt man vom Parkplatz aus, wenn man sich erst nach rechts wendet, dann noch vorm Kreisel die Straße überquert und durch das Tor mit dem riesigen Schild geht, auf dem möglicherweise tatsächlich „Haupteingang“ steht).
Die Homepage der Völklinger Hütte empfiehlt „je nach persönlichem Tempo zwei bis drei Stunden“ für den Besuch einzuplanen. Wir sagen: Das reicht nie im Leben! Wer sich auch die Ausstellung in der Gebläsehalle ansehen, ein paar Mal die Rutsche vom Gittersteig aus hinuntersausen und die fesselnde Symbiose aus Natur und verrostendem Stahl auf sich wirken lassen möchte, sollte getrost den kompletten Nachmittag dafür einplanen, besser noch einen ganzen Tag.
Schon allein in der Sonderausstellung könnten wir Stunden verbringen. Das Spannendste ist dabei natürlich die Ausstellungshalle an sich. Riesige Schwungräder und andere ominöse Apparaturen bilden die Kulisse für die poppigen Exponate. Am Ende der Halle stehen ein paar Tische auf dem gefliesten Boden, ein Kaffeeautomat sorgt für Heißgetränke, und mit Blick auf den gigantischen Gebläsekessel halten wir ein Picknick ab, das definitiv zu den skurrilsten unserer Reisebiografie gehört.
Über einen Steg in luftiger Höhe überqueren wir die Straße und sind nun auf dem Hauptgelände der Eisenhütte. Eine riesige Stadt aus rostigem Stahl erstreckt sich vor uns, turmhoch, und wir kommen uns winzig vor. Entdeckergeist und Forscherdrang sind geweckt. Abenteuerlustig erkunden wir das Gewirr von Gängen, Stegen, Gitterrosten, Treppen und Tunneln. Fast überall dürfen wir herumklettern, nur ab und zu sind Durchgänge abgesperrt, und alles ist gut abgesichert (ein Mindestmaß an gesundem Menschenverstand ist natürlich trotzdem erforderlich, wenn man den Ort mit kleinen Kindern besucht).
Da, wo früher glühendes Eisen entlang floss, gibt es heute einen multimedial aufbereiteten Kurzfilm zur Geschichte der Hütte zu sehen. 1873 ist hier zum ersten Mal Stahl produziert worden. 1881 ging der erste Hochofen in Betrieb, und wenig später war das Werk in Völklingen bereits einer der größten Stahlproduzenten in Deutschland. Wir lernen, was in der Möllerhalle und in der Sinteranlage passierte, und was sich im Lauf von fast 200 Jahren Stahlindustrie geändert hat. Bis zu 17.000 Menschen haben hier gearbeitet, zumindest auf dem Höhepunkt der Entwicklung in den 1960er Jahren. Dann kam die Stahlkrise, und schon 1986 war Schluss mit der Produktion.
Wer sich einen Helm aufsetzt und mutig all die durchsichtigen Treppenstufen hinaufsteigt, kann in wahnsinniger Höhe in den Hochofen gucken. Die Jungs und ich schaffen nur den Teil mit dem Helm, dann entscheiden wir uns spontan für eine Spielplatzpause. Während die Kinder wiederholt die Röhrenrutsche von der Brücke hinuntersausen und im Sand baggern, stelle ich beim Blick nach oben mit einiger Erleichterung fest, dass auch gestandene Männer auf halber Strecke wieder umkehren.
Als Martin von seinem Höhen-Abenteuer zurückkehrt, machen wir uns auf zu einer letzten großen Expedition. Hinter der Kokerei ist das „Paradies“ entstanden. Hier konnte sich die Natur jahrzehntelang ungestört ihr Reich zurückerobern. Einen Kilometer lang führt ein Spazierweg durch den inzwischen professionell in Szene gesetzten Landschaftsgarten, wo zwischen verrottenden Förderbändern und verrostenden Fassaden Birken, Schmetterlingsflieder und Blumen sprießen. Wir sind leider ein bisschen früh im Jahr, aber inzwischen muss das hochgradig großartig aussehen!
Flair und Magie der Völklinger Hütte in Worte zu fassen, ist nicht leicht. Der Besuch ist ein Abenteuer, ein Erlebnis, das über eine blanke Besichtigung weit hinausgeht. Die Auseinandersetzung mit der Industriegeschichte ist lehrreich, aber die Begegnung mit Verfall und Verwandlung von etwas wahrhaft Großem berührt und inspiriert auch noch auf ganz andere Weise. Man muss das erleben.
Die Völklinger Hütte ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet (von November bis Anfang April nur bis 18 Uhr). Der Eintritt kostet 15 Euro, Kinder bis 18 Jahre zahlen nichts, und in der klassischen Familienkonstellation (2+2) zahlen alle zusammen 25 Euro. Dienstagsnachmittags ab 15 Uhr ist der Eintritt für alle frei.
Bis zum 15. Juni 2014 ist noch die bunte Ausstellung „Generation Pop! … hear me, feel me, love me!“ zu sehen. Zusätzlich gibt es bis zum selben Datum eine Ausstellung des Saarbrücker Fotografen Axl Klein zum Thema Zorn. Bis zum 9. November sind Fotografien zum Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung ausgestellt.
Unabhängig davon, wohin die Reise in diesem Theater sonst gerade geht – dienstags ist Deutschland dran. An diesem Tag berichte ich von Kurztripps, Ausflügen und Urlaubsreisen in unserem eigenen Heimatland, entweder ganz aktuell oder rückblickend aus der jüngeren Vergangenheit.
Wow! Das ist ja gigantisch!
Und ich kann das mit Fotos nur halb so gut einfangen wie „richtige“ Fotografen. In echt ist das alles noch viel beeindruckender.
Tolle Location! Das hätte mich auch sehr gefesselt! Muss ich gleich mal abspeichern, wenn ich irgendwann in der Heimat bin und ein gutes Ausflugsziel brauche. Ist nur 1,5 h von meiner alten Heimat entfernt. LG Mary
Bei der Entfernung lohnt sich definitiv ein Tagesausflug. Also, von der alten Heimat aus. Von der neuen könnte das schwierig werden. :)
Hey, wie cool. Ich liebe ja diese alte Industriekultur. Das merken wir uns mal vor.
[…] echter Reisegrund aber ist die Völklinger Hütte. Sie ist als Unesco-Welterbe eingetragen, und zwar das erste der Industriekultur. 1873 ist hier zum […]