Völlig zufällig landen wir in Paisley und stolpern mitten in die Geschichte, die das unscheinbare Städtchen mit ganz Schottland und Großbritannien verbindet.
Zwischenstopp in Paisley
Von jetzt an geht es abwärts – also Richtung Süden. Inveraray verabschiedet uns tatsächlich mit einem Dudelsackspieler in voller Montur. Na ja, vermutlich ist er eher für die Belustigung einer Busladung Rentner gedacht, die an der Weberei neben der Jugendherberge Station macht, und weniger für unser Geleit. Aber die Jungs sind natürlich trotzdem fasziniert.
Wir entfernen uns von den schroffen Berghängen und den Wasserfällen, blicken noch einmal ausgiebig auf den Loch Lomond. Eine Weile rollen wir recht ereignislos über autobahnähnliche Schnellstraßen. Irgendwann aber wird eine Pipipause nötig, und wir fahren aufs Geratewohl ab (denn Raststätten mit Toiletten gibt es in Schottland nicht, zumindest haben wir keine entdeckt). Der Ort, in dem wir landen, heißt Paisley, und in der Tat ist er der Ursprung des gleichnamigen Musters. An jeder Ecke leuchten uns die pantoffeltierchenartigen Ornamente entgegen.
Paisley die Muster-Stadt
Die kleine Stadt, die – wie uns Wikipedia hinterher verrät – in Wirklichkeit die fünftgrößte Stadt Schottlands ist, war im 19. Jahrhundert ein Zentrum der Textilverarbeitung. Hier kam man auf die findige Idee, diese exklusiven Blattmuster aus Indien, die Königin Victoria in Mode gebracht hatte, preiswert nachzuarbeiten.
Wir parken an einem Wellness-Park-Schwimmbad-Ding, in dessen Foyer wir diskret auf dem Klo verschwinden. Die Jungs haben Hunger, und so entscheiden wir uns für einen kleinen Stadtspaziergang mit integriertem Picknick im Park.
Paisley Abbey
Überall ausgeschildert ist die Paisley Abby. Offenbar lohnt sich ein Blick darauf, überlegen wir uns, und schlendern mal hin.
Der Kreuzgang umschließt ein hübsches Gärtlein und ist frei zugänglich. Janis, der aus unerfindlichen Gründen einen Hang zu sakralen Bauten jeder Art hat, probiert, ob die Tür zur Kirche offen ist. Sie ist es in der Tat. Ein älterer Herr empfängt uns und ist ganz entzückt, als die Jungs uns als Deutsche outen. Geschäftig zieht er vorbereitete Kopien hervor, die uns die Geschichte des heiligen Ortes in unserer Landessprache vermitteln.
Mehr um ihm einen Gefallen zu tun, überfliege ich den Text. Oh, guck an: Paisley Abby ist offenbar tatsächlich ziemlich geschichtsträchtig. Die Namen all der schottischen Könige und Heiligen sagen mir wenig, bis ich zu dem Part im Hochmittelalter komme. William Wallace, schottischer Freiheitskämpfer und National-Ikone, ist hier als Kind zur Kirche gegangen und hat sich von den Mönchen inspirieren lassen. Robert the Bruce, der sein Werk fortsetzte und 1314 schließlich zum Erfolg führte (für einige Jahre wenigstens), ist ebenfalls mit Paisley verbunden. Hier, im Hospital des Klosters von Paisley, starb seine einzige (eheliche) Tochter Marjory bei der Geburt ihres ersten Sohnes. Der überlebte aber und begründete später die Dynastie der Stuarts, die bis ins 18. Jahrhundert regierte und – wie der Infozettel stolz vermeldet – wenigstens tröpfchenweise immer noch im Blut der aktuellen Königin vorhanden ist.
Auch über die Baugeschichte der Abtei berichtet der (erstaunlich fehlerfrei übersetzte) Text einiges. So stürzte kurz vor der Reformation der Kirchturm ein und sorgte für recht unorthodoxe Umbauten.
Uns fällt vor allem die prächtige Orgel auf, die mit filigraner Schnitzkunst verziert ist.
Heiligkeit im Auge des Betrachters
„Boah, und Mama, guck mal nach oben!“ weist mich Janis auf die elaborierten Schlusssteine im Deckengewölbe des Altarraums hin. Er tut es angemessen leise, was mich auf den Gedanken bringt, dass Kirchen oft von Natur aus eine sakrale Ausstrahlung besitzen. Ich muss an unseren Besuch der Steinkreise von Kilmartin und Janis’ respektlose Bemerkungen darüber denken und frage ihn ohne Vorwarnung: „Findest du denn, dass hier ein heiliger Ort ist?“
„Klar“, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken. Und auf meine Frage, warum, antwortet er: „Na, zum Beispiel weil da vorne jemand betet.“ Interessante Weltsicht eines Neunjährigen, den ich bewusst religionsneutral, aber doch zum Bewusstsein für die christliche Prägung unserer Heimatkultur erziehe. Beten ist in seiner Wahrnehmung offenbar doch „heiliger“ als New-Age-Steinkreis-Pendelei.
In der alten Sakristei ist eine kleine Ausstellung untergebracht, die die Geschichte des Ortes noch ausführlicher und vor allem anschaulicher vermittelt als der Zettel. Leider ist die sakrale Geduld der Jungs aufgebraucht.
Und die Paisleyer
Zurück zum Auto schlendern wir durch die überschaubare Innenstadt.
Ein junger Skater probt ungeschickt seine Moves und legt sich genau vor unseren Füßen auf die Klappe. „Nichts passiert“, soll sein schwer schottisches Kauderwelsch wohl heißen, jedenfalls grinst er uns einfältig an. Martin macht eine höfliche Bemerkung, und erstaunt fragt der Junge, ob wir nicht von hier seien. Aus Deutschland? Wow. „Aber was wollt ihr denn in Paisley? Hier ist doch nichts!“
Na ja, das Kloster lohnt durchaus einen Blick, finde ich. Was den Rest der Stadt angeht, na ja. Da würde ich mich der Meinung des Einheimischen wohl anschließen. Aber eine nette Pipipause war es allemal.
Diesen Eintrag meines Reisetagebuchs habe ich am 22. August 2013 verfasst.
Paisley Abbey befindet sich zentral in der gleichnamigen Stadt an der M8, knapp 20 Kilometer westlich von Glasgow. Der Eintritt in die Klosterkirche ist frei, um Spenden wird gebeten. Selbstverständlich sind tea room, Toiletten und gift shop vorhanden.
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