Nach einem wunderschönen Vormittag am Wasserfall raffen wir uns auf, um einen geruhsamen Nachmittag auf dem Pier zu erleben, Großbritanniens beste Scones zu essen und uns vom Krabbenfischen faszinieren zu lassen.
Wir parken direkt an der Seebrücke. Bevor wir begreifen, dass der Zutritt kostenpflichtig ist, hat unsere Couchsurfing-Gastgeberin Sharon das schon für uns alle erledigt. „Das sind nur ein paar Pence“, wehrt sie ab, als wir protestieren wollen. Wir beschließen, uns im Café zu revanchieren, doch auch dort nutzt das Paar seine Ortskenntnisse aus und überholt uns auf dem Weg zur Kasse. Normalerweise geben wir Acht, dass wir als vierköpfige Familie unseren Gastgebern nicht zur Last fallen und die Bilanz hinterher wenigstens ausgeglichen ist. Aber Sharon und Vikram vermitteln uns ohne jede Überheblichkeit das Gefühl, dass es völlig okay ist und sie uns gerne einladen. Und wir wollen nicht streiten, an einem so wunderschönen Tag wie diesem. Erstrecht nicht, wenn wir mit den tatsächlich besten Scones beschäftigt sind, denen wir auf unserer Reise durch Großbritannien begegnen. Die kleinen Gebäckstücke sind in jedem tea room zu haben und fester Bestandteil der „cream tea“-Zeremonie. Gereicht werden sie mit Marmelade und Butter oder clotted cream. Bei letzterem handelt es sich um eine Art stichfeste Sahne – so ungefähr das, was bei Bio-Sahne am Deckel klebt: buchstäblich die crème de la crème also. Auf dem Bangor Garth Pier steht nicht nur die normale Scones-Variante mit Rosinen zur Auswahl, sondern auch eine zweite mit kandierten Kirschen. Lecker sind beide! „Dieses süße alte Ehepaar führt den Laden“, erzählt mir Sharon. „Er steht mitten in der Nacht auf, um die Scones zu backen, jeden Tag frisch. Wenn sie alle sind, schließen sie den tea room. Das ist meistens schon so gegen vier.“
Worin genau der Unterschied zwischen einem tea room und einem Café besteht, haben wir übrigens nicht herausgefunden, und auch Sharon zeigte sich überfragt. Vielleicht sei ein Café eleganter, vermutet sie, ein tea room eher eine Notwendigkeit für den süchtigen Briten. Im Süden Englands sind häufiger Cafés ausgeschildert, im Norden, Schottland und Wales ist mir kein einziges so tituliertes aufgefallen. Natürlich bekommt man heutzutage auch in jedem tea room Kaffee. Die üblichere Wahl ist jedoch auch heute noch das Kännchen starker, schwarzer Tee. Da wir von Haus aus keine Kaffeetrinker sind, freut uns das. Trotzdem müssen wir uns an den herben, überlange gezogenen Geschmack erst gewöhnen. Englischer Tee ist stark, denn es ist schlichtweg nicht vorgesehen, den Beutel zu entfernen. Es dauert Tage, bis wir checken, dass am Boden des servierten Kännchens der Beutel dümpelt, ohne jedes Rückholbändchen. Wir nehmen das einfach mal als „typisch Britisch“ hin und tolerieren es.
Unter unseren Füßen rauscht derweil die Irische See. Großbritannien hegt eine besondere Vorliebe für Seebrücken. Mehr als 50 verteilen sich entlang der Küsten der Britischen Inseln. Die meisten entstammen dem 19., manche dem frühen 20. Jahrhundert. Der Bangor Garth Pier wurde 1896 eröffnet und reicht fast bis zur Insel Anglesey hinüber. „Warum haben die nicht gleich eine Brücke draus gemacht?“ fragt Janis und gibt sich die Antwort gleich selbst: „Ach so, weil dann die Schiffe nicht mehr durchpassen würden.“ Ob so eine Seebrücke nun zwingend erforderlich ist oder nicht, ist auch für die Briten mittlerweile eine Frage. Etliche Piers im Land sind abgebaut worden, weil niemand bereit war, sie weiterhin zu unterhalten. Auch hier in Bangor ist die Zukunft der Eisenkonstruktion ungewiss. 1971 wurde er schon einmal geschlossen, doch die Bürger protestierten erfolgreich gegen den Abriss, und 1988 erstrahlte er zur Wiedereröffnung in neuem Glanz. Inzwischen ist der Lack wieder ab, im wahrsten Sinne des Wortes. Seit zwei Jahren diskutiert der Stadtrat, woher die erforderlichen zwei Millionen Euro kommen sollen, die für eine Renovierung nötig sind.
Die Eisenträger sind rostig, aber noch haben wir keine Bedenken, auf der 458 Meter langen Brücke zu flanieren. Kleine Pavillons flankieren den Holzweg. Hier gibt es Souvenirs, Kunsthandwerk und alles, was zum Krabbenfischen erforderlich ist. Die Jungs sich höchst fasziniert von diesem Zeitvertreib, dem sich viele Familien vom Brückengeländer aus hingeben. Sie lassen ein Netz mit Schinkenspeck zu Wasser, in das die kleinen Viecher zu allzu bereit hineinkrabbeln. Schon nach kurzer Zeit wimmelt es nur so in den bereitgestellten Eimern. Die alten Angler-Fragen „Wer hat den größten?“ und „Wer hat die meisten?“ werden heiß diskutiert. Und wenn die Anglermuße verflogen ist, wird der Eimerinhalt – schwupps – wieder ins Meer gekippt.
Nach einem kurzen Zwischenstopp am Spielplatz (direkt neben dem Parkplatz) fahren wir wieder zurück zu unseren Gastgebern. Schließlich sind wir heute dran mit Kochen: Es gibt mal wieder Käsespätzle. Die Familie ist entzückt und wir glücklich, uns endlich mal erkenntlich zeigen zu können.
Dieser Eintrag basiert auf Aufzeichnungen meines Reise-Tagebuchs vom 27. August 2013.
Hallo, der Link zum Wasserfall fehlt. Sonst eine tolle Seite. Danke schön. Liebe Grüße Birgit
Danke für den Hinweis! Ist repariert.