„Die Welt ist voller wunderschöner Dörfer, die kaum bekannt sind. Mit dieser Blogparade will ich das ändern“, schreibt Oliver Zwahlen vom Weltreiseforum und trifft damit genau unseren Nerv. Wir sind von Natur aus Landeier, zu Hause in Schaumburg und auch unterwegs. So aufregend die Verlockungen der großen Städte mit ihren Weltklasse-Museen und Must-See-Sehenswürdigkeiten auch sind – wir sind immer wieder froh, wenn wir uns danach ins Grüne zurückziehen können. Bevor ich mich diesem „Aufsatzthema“ widmen kann, müssen wir freilich eine Auswahl treffen. „Das schönste Dorf der Welt“ – welcher Ort verdient diesen persönlichen Superlativ? Wir haben uns mit der ganzen Familie zusammengesetzt und über diese Frage nachgedacht.

Wir sitzen am Küchentisch, vor mir liegen Zettel und Stift. „So“, sage ich. „Keiner steht auf, bis wir nicht das schönste Dorf der Welt gefunden haben.“ Da auf dem Tisch Tee und Kekse stehen, protestiert erstmal keiner. Stattdessen herrscht einträchtiges Knuspern und Nachdenken.

Litauen: Teviske bei Kaunas?

Silas ergreift als erster das Wort. „Dieses mit den vielen Holzhäusern und der Kirche, die auch nach frischem Holz gerochen hat, wo es überall Gardinen aus Papier gab, und den Bäcker, wo man so leckere Törtchen kaufen konnte“, schlägt der Siebenjährige vor. Er meint damit das Museumsdorf Teviske bei Kaunas in Litauen. Das ist wirklich schön, aber es ist ein Freilichtmuseum und zählt deswegen nicht.

Colourful houses were and still can be found in the towns.

Herrliche Holzfassaden eines altertümlichen Dorfes in Litauen – aber die stehen im Freilichtmuseum und zählen deshalb nicht…

Fake lace drapes made from paper - Lithuania has always been poor, but never on the expense of elegancy.

Papiergardinen in Teviske.

 

Norwegen: Lillesand an der Südküste?

Es wird wieder still am Küchentisch. „Wo fandest du es denn bis jetzt am schönsten?“ hake ich nach und wende mich an meinen Großen (9). „Norwegen“, sagt Janis erwartungsgemäß. Obwohl er in unserem Skandinavienurlaub erst fünf war, hält er an diesem Urteil fest. „Lillesand zum Beispiel?“ schlage ich vor und rufe ihm die weißen Holzfassaden des Fischerdörfchens an der norwegischen Südküste in Erinnerung. „Nee, das war nicht das richtige Norwegen“, sagt Janis. „Ich meine die Wasserfälle und die Berge. Dörfer interessieren mich eigentlich überhaupt nicht.“

"Wie Perlen an einer Schnur" sind laut Reiseführer die Fischerörtchen mit den weißen Holzhäusern an der Südküste Norwegens aufgereiht. Und ja, der Vergleich passt. (The little villages with the white wooden houses lay "like pearls on a necklace" along the Southern coast of Norway, says the guide-book. And it's right.)

Das idyllische Fischerdörfchen Lillesand ist Janis „nicht norwegisch genug“.

Italien: Vinci in der Toskana?

„Vinci war ganz schön“, sagt Martin nach einigem Überlegen. Der Geburtsort des großen Leonardo in der Toskana ist in der Tat ein sehenswerter Ort. Es gibt zwei Museen, die Werke und Wirken des erstaunlichen Universalgelehrten vermitteln, und die Ortschaft selbst ist hübsch und ländlich und gar nicht so touristisch, wie man erwarten würde. Aber ein kurzer Blick in den Wikipedia-Artikel disqualifiziert die italienische Kleinstadt, denn mit rund 14.000 Einwohnern ist sie eben dies, und seit der damalige Staatspräsident das Dorf 1954 „aufgrund seiner historischen Wichtigkeit“ zur Stadt erklärte, wird da auch nicht mehr dran gerüttelt.

Der Geburtsort von Leonardo da Vinci wirkt ländlich, gemütlich und - wie das meiste in Italien - ein bisschen wirr zusammengestrickt.

Der Geburtsort von Leonardo da Vinci wirkt ländlich, gemütlich und – wie das meiste in Italien – ein bisschen wirr zusammengestrickt.

Die kleine Kirche Santa Croce im Zentrum von Vinci enthielt möglicherweise einst eine Vorarbeit zu Leonardos "Letzem Abendmahl".

Die kleine Kirche Santa Croce im Zentrum von Vinci enthielt möglicherweise einst eine Vorarbeit zu Leonardos „Letzem Abendmahl“.

Estland: Koguva auf der Insel Muhu?

Ich denke derweil an Koguva. Das wahrhaft malerische Dorf mit seinen Strohdächern und ausgedienten Ruderbooten auf den Steinmäuerchen liegt auf der Insel Muhu in Estland. Da der Schriftsteller Juhan Smuul seinen Geburtsort in seiner bekanntesten Erzählung verewigte, genießt das kaum mehr 30 Einwohner zählende Dörfchen bis heute regen touristischen Zulauf. „Reger touristischer Zulauf“ bedeutet in Estland freilich nicht mehr als eine Handvoll Leute pro Tag, was das Mittelding zwischen authentischem Dorfleben und Freilichtmuseum zu einer sehr angenehmen Erfahrung macht. Aber über Koguva habe ich hier schon ausgiebig geschrieben.

The beautiful village of Koguva.

Strohgedeckte Holzhäuser und uralte, vermooste Mäuerchen: Koguva ist ein „echtes“, bewohntes Dorf mit dem Charakter eines Freilichtmuseums.

Here old boats don't go up the chimney but rather become part of the garden wall.

Traditionell landen in diesem Teil von Estland ausgedehnte Fischerboote nicht im Ofen, sondern auf der Mauer.

England: Exford im Exmoor?

„In Großbritannien haben wir doch genug schöne Dörfer gesehen“, wagt Martin einen neuen Vorstoß. „Wie wäre es zum Beispiel mit Exford?“ Die kleine Ansammlung von Häusern liegt im Exmoor und diente uns in unserem ersten Familienurlaub zu viert im Jahr 2007 eine Woche lang als Ausgangsbasis für die Erkundung der Region. Mittelpunkt und Hauptattraktion des Dorfes sind die „Exmoor Stores“, die alle in die zwei Räume eines winzigen Cottages passen: Lebensmittelladen, Immobilienhändler und Postfiliale in einem. „Aber außer dem winzigen Geschäft und der Jugendherberge, die es inzwischen nicht mehr gibt, war da üüüberhaupt nichts“, gebe ich zu bedenken. „Idylle“, kontert Martin. „Und es gab einen schönen Spielplatz!“ Trotzdem, so ganz überzeugt bin ich nicht.

Die Shopping Mall von Exford.

Die Shopping Mall von Exford.

Englische Idylle im Exmoor: zuckersüße Cottages mit Blumenampeln allerorten.

Englische Idylle im Exmoor: zuckersüße Cottages mit Blumenampeln allerorten.

Deutschland: ein Dorf im Schaumburger Land?

Obernkirchen ist kein Dorf, oder?“ fragt Janis. Nein, auch unser Heimatort besitzt trotz seiner geringen Einwohnerzahl von unter 10.000 das Stadtrecht, und das schon eine ganze Weile. 1181, um genau zu sein, verlieh uns Kaiser Barbarossa persönlich diese Auszeichnung, wofür wir Obernkirchener immer noch so dankbar sind, dass wir unser Stadtfest nach ihm benennen (welches übrigens – Wink mit dem Zaunpfahl – vom 20. bis 22. Juni über die Bühne geht).„Schade“, sagt Janis. „Hier bei uns ist es nämlich auch total schön.“ Und Recht hat er! Im Schaumburger Land zwischen Hannover und Bielefeld verteilen sich viele liebliche Dörfer über grüne Wiesen und sanfte Hügel. Uralte Bauernhöfe mit Fachwerk und roten Dachschindeln bestimmen das Bild, umstanden von hohen Bäumen. Manche von ihnen sind als Hofcafé ausgebaut, dort gibt es an den Sommerwochenenden hausgebackenen Kuchen. Am liebsten tingeln wir mit dem Fahrrad über die Dörfer, entdecken dank der teils hervorragenden Beschilderung Spuren der Lokalgeschichte und mystische Orte wie die Grabpyramide im Schaumburger Wald. Doch, unsere heimischen Dörfer können auf jeden Fall mithalten mit ihren Pendants südlich, nördlich, östlich und westlich von hier. „Aber welches soll ich nehmen?“ frage ich in die Runde. „Welches ist das allerschönste Dorf?“ „Nimm Wiedensahl“, rät Martin. „Das kennt wenigstens noch der eine oder andere.“ Aber über den Heimatort unseres Lokalhelden Wilhelm Busch habe ich schon geschrieben. Was dann? Hülshagen mit dem wunderschön restaurierten „Lauenhäger Bauernhaus“ samt Backhaus und Bauerngarten? Lindhorst mit Freibad und Bergbau-Museum? Niedernwöhren mit der herausragenden Bio-Bäckerei Wilke? Möllenbeck mit dem Kloster samt Café und Spielplatz?

Two beauties in front of the old electricity transformer house ("Imagine of beauty" by Tutani Mgbazi).

Dank Kaiser Barbarossa ist Obernkirchen eine Stadt.

 

Das Wilhelm-Busch-Geburtshaus mitten in Wiedensahl beherbergt ein kleines, aber ausgeklügeltes Museum. (Wilhelm Busch's birthplace is home to a great little museum.)

Wiedensahl mit dem Wilhelm-Busch-Geburtshaus ist in der Tat ein höchst idyllisches Dörfchen.

Schaumburg: rote Dachziegel, dazu Fachwerk oder Backstein und viel Idylle - diese Fassade gehört zu einem alten Hof in Lindhorst.

Schaumburg: rote Dachziegel, dazu Fachwerk oder Backstein und viel Idylle – diese Fassade gehört zu einem alten Hof in Lindhorst.

„Ach, wisst ihr was?“ seufze ich und lege den Stift hin. „Ich kapituliere. Das Thema ist mir zu schwer. Ich kann einfach nicht sagen, welches das schönste Dorf der Welt ist.“ Die Kekse sind auch alle. Also lassen wir das.

Und was sagt ihr? Habt ihr ein „schönstes Dorf der Welt“ parat? Nennt es hier im Kommentar, oder beteiligt euch selbst an Olivers Blogparade!

Übrigens: Alle grünen Links (außer die zum Weltreiseforum, klar) bringen euch zu Texten von mir, die mehr über das jeweilige Thema berichten.

PS: Da Oliver für seine Rundschau ein eindeutiges Dorf brauchte, habe ich mich dann doch dazu durchgerungen, offiziell Koguva zu nominieren. :)