Mazedonien haben wohl die allerwenigsten bei der Urlaubsplanung im Blick. Das kleine Balkan-Land nördlich von Griechenland gilt als konfliktträchtig und wirtschaftlich zurückgeblieben. Familienurlaub in Mazedonien? Städtetrip nach Skopje? Wir haben es ausprobiert und dabei manche Überraschung erlebt.
Wir spazieren durch den Triumphbogen, der hell erleuchtet und monumental vor uns prunkt. Der Eingang zum Stadtzentrum von Skopje erinnert verdächtig an den Arc de Triomphe am in Paris. Mit 21 Metern Höhe nimmt sich die Porta Macedonia dann aber doch ein bisschen bescheidener aus als das 50 Meter hohe Vorbild an den Champs-Élysées.
„Bescheiden“ ist allerdings nicht das Wort, das dem Touristen beim Streifzug durch die Innenstadt in den Kopf kommt. Im Gegenteil, ansonsten ist hier alles etwas größer, goldener und protziger als anderswo. Dass Skopje die Hauptstadt einer der schwächsten Volkswirtschaften Europas ist, kann man sich bei diesem Anblick kaum vorstellen.
Reiche Pracht in einem armen Land
Besonders auffällig sind die unzähligen Statuen. Vom Triumphbogen bis zum großen Platz begegnen uns schon mehr als eine Handvoll. Egal, in welche Richtung wir uns von hier aus wenden, es befinden sich mindestens zwei oder drei Bronzefiguren im Blickfeld: Männer auf Pferden, Revolutionäre mit Maschinengewehr an der Seite, auch ein paar Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm oder Einkaufstaschen über der Schulter. Einige sind künstlerisch anspruchsvoll, bei anderen ist das „für den Laien nicht erkennbar“, um es wertneutral auszudrücken. Höchster von allen ist natürlich Alexander der Große. Er ist der Nationalheld des kleinen Mazedoniens – inoffiziell, denn sein Geburtsort liegt heute in Griechenland, und die eigentlich heißt die Statue ganz neutral „Krieger auf dem Pferd“. Nichtsdestotrotz ist seine Identität offensichtlich. Auf einer pompösen Säule thront er über dem Platz, bewacht von treuen Phalanx-Kriegern und majestätischen Löwen. Ein anderer monumentaler Brunnen etwas die Straße runter zeigt ihn als Jungen zwischen seinen Eltern sitzend, die sich ihm liebevoll zuwenden. Auch hier ist klar, dass Alexander gemeint ist – selbst wenn die Darstellung des in strenger Zucht getrennt von seiner Mutter aufgewachsenen Kriegsherrn historisch völlig inkorrekt ist.
Kunst und Korruption
Aber dass es in Skopje nicht immer ganz korrekt zugeht – vorsichtig ausgedrückt – ist ziemlich normal. Diesen Eindruck vermittelt uns zumindest Ana, die wir an unserem dritten Tag in der mazedonischen Hauptstadt treffen. Eigentlich ist sie Patriotin, erzählt sie uns, und lange hat sie der Zukunft ihres Landes optimistisch entgegengeblickt. „Wir galten auf dem Balkan als vorbildlich und sind schon lange Beitrittskandidat für die EU“, erklärt sie. „Aber seit Jahren schon geht es überhaupt nicht mehr nach vorne, es wird eher schlechter.“ Früher konnte sie nicht verstehen, warum so viele Mazedonen ins Ausland gingen, statt zu Hause daran zu arbeiten, ihre Heimat nach vorne zu bringen. Mittlerweile hat auch sie resigniert. „In letzter Zeit denke sogar ich daran, wegzugehen. Das kommt mir so falsch vor, aber ich habe auch keine Lust, mein ganzes Leben hier in Armut zu verbringen.“ Dabei muss sie noch dankbar sein, betont Ana. Auch wenn sie im europäischen Vergleich in ihrem Job als IT-Spezialistin lächerlich wenig verdient, ist sie immerhin nicht arbeitslos, wie so viele ihrer Freunde und Bekannten. „Die können überhaupt nicht verstehen, wovon ich rede, wenn ich sage, dass ich mit meinem Arbeitsplatz nicht glücklich bin“, erzählt sie. „Die sagen: ‚Du hast es doch so gut, setz das nicht aufs Spiel!’“ Die 35-Jährige seufzt und hält sich an ihrer Teetasse fest. Dann erklärt sie uns, was es mit den vielen Statuen auf sich hat: „Der Wert von Kunst lässt sich schlecht beziffern.“ Wie viel vom freigegebenen Budget tatsächlich beim entsprechenden Künstler landet, ist kaum nachweisbar. Die Kulturschaffenden, froh über jeden Auftrag, spielen das Spiel mit. Im Kosovo haben wir von einem sehr ähnlichen System beim Straßenbau gehört, und auch die kuriose Bruce-Lee-Statue von Mostar soll einer ähnlichen Rechnung zu verdanken sein. In Skopje hat man das Vorgehen offenbar perfektioniert.
Als wir an einer Kreuzung an der Fußgängerampel stehen, erlöschen plötzlich alle Lichter. Polizisten regeln den Verkehr. Nach einem Augenblick der Verwirrung begreifen wir, dass wir direkt vor dem Parlamentsgebäude stehen und sich gerade ein Staatskonvoi in Bewegung setzt. Wichtige Männer in dunklen Anzügen steigen in schwarze Audis und BMWs. Immerhin reicht den meisten offenbar ein Mittelklassemodell. Richtige Luxuskarosserien sind – anders als im Kosovo – nicht dabei.
Stadt zwischen Orient und Okzident
Bei einem Streifzug durch die Stadt landen wir unweigerlich am Ufer des Vardar. Der Fluss unterteilt Skopje in Orient und Okzident. Kurioserweise sind die Himmelsrichtungen hier vertauscht: Die westeuropäischen Cafés und Shopping-Malls befinden sich auf dem Südufer, die osmanisch geprägte Altstadt dagegen nördlich des Flusses.
Die engen Gassen dort erinnern uns an Sarajevo und sind ein Vorgeschmack auf Istanbul, das wir noch bereisen werden. Die Teppiche, die vor zahlreichen kleinen Läden hängen, sind jedoch noch mit typischen Balkan-Mustern verziert. Außerdem gibt es Lederwaren, altes Handwerk, orientalische Süßigkeiten und – auch das eine Gemeinsamkeit mit der türkischen Kultur – pompös glitzernde Abendkleider in rauen Mengen.
Auf dem Basar herrscht dichtes Gedränge. Dann setzt der Ruf des Muezzins ein und scheppert klagend durch die minderwertigen Lautsprecher. Fast ein Drittel der Bewohner Mazedoniens sind Albaner – und damit fast automatisch Muslime. Die ethnischen Mazedonen bekennen sich mehrheitlich zum orthodoxen Glauben (wenn auch bei der letzten Volkszählung von 2002 eine bemerkenswert große Gruppe von insgesamt 45 Prozent keine Angaben zur Religionszugehörigkeit machen wollte – ungewöhnlich für die Balkanregion).
Unvergessen: der politische Konflikt
2001 stand das Land haarscharf am Abgrund eines Bürgerkriegs. Den intensiven Vermittlungsbemühungen der Europäischen Union ist es zu verdanken, dass die Katastrophe abgewendet werden konnte – fürs erste. „Wir leben auf einem Pulverfass“, sagt Ana. „Ich glaube eigentlich nicht, dass es in nächster Zeit zu neuen Auseinandersetzungen kommt. Aber ich konnte mir auch damals, als alles auf der Kippe stand und außerhalb von Skopje schon geschossen wurde, absolut nicht vorstellen, in einem Bürgerkriegsland zu wohnen.“ Seit damals hat es eine Reihe weitreichender Reformen gegeben, die albanische Minderheit besitzt nun viel mehr Privilegien. „Im Alltag gibt es keine Spannungen“, sagt Ana. In den meisten Fällen liegt das wohl daran, dass man sich aus dem Weg geht. „Ich habe durchaus Bekannte, die Albaner sind“, berichtet die einzige Insider-Informantin, deren wir in unserer kurzen Zeit in Mazedonien habhaft werden konnten. „Auch eine Kollegin ist Albanerin, die passt sich gut an.“ Aber das Bewusstsein, dass es „uns“ gibt und „die“, das ist für Einheimische allgegenwärtig. Mehrheit und Minderheiten haben jeweils ihre eigenen Kindergärten, Schulen, Stadtteile. Im Prinzip ist das nichts anderes als im leidgeprüften Bosnien und auch in Rumänien, wo eine große ungarische Minderheit lebt. Man teilt sich wohl oder übel den Lebensraum und kommt sich möglichst nicht in die Quere. Wir als Touristen bekommen von dem latenten Konflikt jedenfalls überhaupt nichts mit.
Brandneu: das Archäologische Museum
Highlight unseres Skopje-Trips ist der Besuch des brandneuen Archäologischen Museums. Es ist Teil des Projekts „Skopje 2014“, dem die Stadt auch die unzähligen Monumente verdankt. Ob auch hier Gelder abgezweigt wurden, kann ich nicht beurteilen; deutlich zu sehen ist jedenfalls, dass jede Menge davon ausgegeben wurde. Nur ein paar Meter neben der alten Steinernen Brücke, die Skopjes Wahrzeichen ist, führt eine neue über den Fluss, deren Geländer eine zweistellige Anzahl an Statuen aus der Landesgeschichte zieren. Der Museumsbau selbst erstrahlt in neoklassizistischer Architektur – ganz schick, finde ich; andere nennen das historisierenden Kitsch. Ich weiß viel zu wenig über Mazedonien, um das wirklich beurteilen zu können, aber in einem Land mit so tiefgreifenden Problemen ein dermaßen astronomisches Budget für eine kulturelle Einrichtung zu genehmigen, kommt selbst mir als Museumsfreak unangemessen vor.
Nichtsdestotrotz genießen wir unseren Museumsbesuch sehr. Im Erdgeschoss führen uns Informationstafeln und ausgewählte Ausstellungsstücke durch die antike Geschichte des Landes. Zwischen den Zeilen nimmt man häufig Bezug auf den neuzeitlichen Konflikt mit Griechenland. Der größte Teil der antiken Region Makedonien liegt heute in Griechenland, auch ein bisschen Bulgarien und Albanien gehört historisch gesehen dazu. Zwar betonten bereits antike Autoren, dass es sich beim makedonischen Volk ethisch gesehen nicht um Griechen handelt und nur dem Königshaus (und mithin Alexander dem Großen) die „Griechenheit“ eingeräumt wurde. Und auch wenn das kleine Land als Teilrepublik Jugoslawiens bereits den größten Teil des 20. Jahrhunderts Mazedonien hieß, erhebt der südliche Nachbar alleinigen Anspruch auf diesen Namen und besteht darauf, dass sich der neue Staat FYROM nennt: Former Yugoslav Republic of Macedonia. Auch in diesem Fall bin ich nicht Experte genug, um mich mehr als darüber wundern zu dürfen.
Aber zurück ins Museum. Der supermoderne Prachtbau geizt im Inneren weder mit historisch hochrangigen Exponaten, noch mit Präsentationstechnik. In den oberen Etagen setzt ein stimmiges Beleuchtungskonzept die unzähligen, bis zu 10.000 Jahre alten Ausstellungsstücke in Szene. Meditative Musik sorgt für eine angemessen mystische Stimmung während der Zeitreise in die dunkelste Vergangenheit. Videoinstellationen, symbolische Aufbauten und erstaunlich lebensechte Wachsfiguren vervollständigen das Erlebnis. Die Jungs lümmeln auf Sitzsäcken und lassen die Rundumschau der Menschheitsgeschichte auf sich wirken. „Ganz großes Kino!“, sage ich zu Martin – und meine das nicht ausschließlich positiv. Denn eines vermisse ich bei dieser grandiosen Show um die Weltklasse-Exponate: die Wissensvermittlung. Offenbar hat man in Skopje beschlossen, sich dem leidigen, ewigen Kampf jedes Museumskurators gar nicht erst zu stellen und sich damit zufrieden zu geben, ahnungslose Touristen an den steinernen Zeugnissen der Jahrtausende vorbeizuschleusen, solange die das Haus mit dem Gefühl verlassen, gut unterhalten worden zu sein. Wer wirklich etwas lernen will, das nicht auf ein briefmarkengroßes Schildchen passt, braucht ein Internet-fähiges Handy, um bei Wikipedia nachschlagen zu können. Schade.
Pluspunkt: Preiswert
Sehr angenehm wird Mazedonien als Reiseland für Familien durch das Preisniveau. Für ein Apartment mit Doppelbett und Schlafsofa, in Laufnähe zum Stadtzentrum, zahlen wir umgerechnet 25 Euro pro Nacht – weniger als irgendwo sonst. Balkan-typisch fehlt der Duschvorhang, und über einige kleinere Mängel sehen wir inzwischen geübt hinweg. Aber diese Wohnung gehört definitiv nicht zu den schlechtesten auf unserer Reise.
Auch die Rechnung im Café ist geradezu lächerlich niedrig. Ein Stückchen Kuchen gibt es hier schon ab umgerechnet 60 Cent. Leider ist das zu verwendende Adjektiv in diesem Zusammenhang nicht „preiswert“, sondern „billig“: Die Backwaren im ersten Etablissement, für das wir uns entscheiden, schmecken fast so schlimm wie die Horror-Torte am Balaton. Am nächsten Tag lassen wir es feudaler angehen und beehren eins der westlich anmutenden Restaurants auf der südlichen Flussseite. Hier ist die Qualität der Speisen hervorragend, und der Betrag, den wir am Ende auf den Tisch legen, ist immer noch nur etwa halb so hoch wie für vergleichbaren Service in Deutschland.
Fazit: Empfehlenswert
Ist also Skopje als Familien-Städtetrip eine gute Idee? Trotz aller Vorbehalte zum politischen System (wir waren schließlich auch in Ungarn, Bosnien und in der Türkei) kommt da von mir ein klares „Ja!“ Aber zur Sicherheit hole ich mir noch mal Rückendeckung von denen, auf die es bei so einer Reise besonders ankommt. „Natürlich“, sagt Janis (10). „Es gibt tolle Museen, ganz viel zu Gucken.“ Silas (8) unterstützt diese Meinung: „Da waren auch richtig viele Brunnen mit schönen Skulpturen, und eine Burg, zu der wir es leider nicht mehr geschafft haben. Ich hätte nichts dagegen, noch mal hinzufahren.“ Zwei, vielleicht besser drei Tage reichen aus, um alle Sehenswürdigkeiten Skopjes abzuklappern. Vom Rest des Landes wissen wir bisher zu wenig, um es empfehlen zu können. Aber das ändern wir noch: Nachdem Ana und andere uns so davon vorgeschwärmt haben, haben wir unsere Reiseroute so geändert, dass wir später von Griechenland aus noch mal einen Abstecher an den Ohrid-See machen werden. Wir sind gespannt…
ich kann mir bei Deinen Berichten immer alles richtig gut vorstellen. Spannendes Gebiet. Nach meine überwältigenden Erfahrungen in Rom bin ich versucht, mich wieder mehr Europa zuzuwenden. Warum also nicht auch mal Mazedonien?!
Oh, das wäre aber schön, wenn ich bei dir mehr Europa-Berichte lesen könnte. ;) China ist und bleibt für mich halt immer „unerreichbar weit weg“. ;)