„Die Herrenhäuser Gärten sind eins der herausragendsten Beispiele barocker Gartenbaukunst“, sagt Janis unvermittelt beim Mittagessen. „Oho“, antworte ich. „Wo hat der Herr denn dieses erlesene Stück Allgemeinbildung erlangt?“ Wie sich herausstellt, handelt es sich um einen Splitter aus dem Musikunterricht. „Im Barock wurde nichts der Natur überlassen“, weiß der 11-Jährige noch. Aber wie genau sich das ausgerechnet in einem Garten widerspiegeln soll, kann er sich nicht recht vorstellen. Da Martin am Samstag eh für einen geschäftlichen Termin nach Hannover muss, beschließen wir kurzerhand, mitzufahren und die Herrenhäuser Gärten zu unserem Wochenendausflug zu machen.
Erst wir, dann Obama
Der Termin ist nicht ganz glücklich gewählt. Tags drauf besuchen Angela Merkel und Barack Obama Park und Schloss in Herrenhausen. Dann darf sich auch der amerikanische Präsident das „herausragende Beispiel barocker Gartenkunst“ einmal ansehen und es zur Kulisse der großen Politik machen.
Das geht selbstverständlich nur mit versiegelten Gullideckeln und einem massiven Medien- und Polizeiaufgebot. Wir müssen unsere Ausweise vorzeigen, bevor wir die Sicherheitszone betreten können, aber rein dürfen wir noch bis 16 Uhr. Und eigentlich erweisen sich die Einschränkungen sogar als Glücksfall, denn so haben wir den Großen Garten heute fast für uns allein – bis auf die Hundertschaften, die dienstlich hier sind, versteht sich.
Herrenhäuser Gärten: Schmuckstück der Landesherren und Mittel zum politischen Zweck
Es ist kein Zufall, dass die Herrenhäuser Gärten stets in der Mehrzahl genannt werden. Allein der Große Garten, das Prunkstück der Anlagen, umfasst eine ganze Reihe thematischer Sondergärten (zu denen ich gleich noch komme). Daneben gibt es noch den Berggarten, der sich vom hochherrschaftlichen Obst- und Gemüsegarten zum Botanischen Garten und Standort des Mausoleums entwickelte, sowie den Georgen- und den Welfengarten. Die sind Landschaftsparks nach englischem Vorbild und heute öffentlich zugänglich.
Während wir erste Blicke in die schnurgeraden Sichtachsen entlang der Baumreihen und Wassergrachten werfen und die schachbrettartig zurechtgeschnittenen Buchsbaumhecken rund um den Brunnen am Orangerie-Parterre betrachten, doziere ich, was ich bei Wikipedia gelernt habe. Den Entschluss, das Grundstück hinterm neugebauten Sommerschlösschen zu einem opulenten Vorzeigeobjekt zu gestalten, fasste Herzog Johann Friedrich von Calenberg. Der entstammte jener Linie des Adelsgeschlechts der Welfen, die später Könige von Hannover und in Personalunion auch die von Großbritannien wurden. Aber so weit war die Geschichte damals noch nicht, es war erst 1665. Der nächste Herzog von Calenberg trieb die Entwicklung voran, sowohl was den politischen Aufstieg der Welfen als auch den Ausbau der Herrenhäuser Gärten betrifft. Ernst August wollte Kurfürst werden, und ein solcher braucht Repräsentationsgut, um zu zeigen, was für ein gebildeter und reicher und damit kompetenter Herrscher er doch ist. Ernst Augusts Mittel der Wahl war (auch) der ausgedehnte Lustgarten nach italienischem und niederländischem Vorbild. Seine Frau Sophie von der Pfalz übernahm die Leitung des botanischen Unternehmens und sorgte dafür, dass der Große Garten sich zu ihren Lebzeiten vervierfachte. Am Ende ihrer Tätigkeit umfasste er 50 Hektar – was ziemlich genau der Fläche entspricht, die auch die Altstadt von Hannover zu diesem Zeitpunkt einnahm.
Wenn Verschludern zum Vorteil wird
Nachdem jene von Calenberg tatsächlich erst Kurfürsten, dann Könige und schließlich Regenten von ganz Großbritannien geworden waren, zogen sie auf die Insel um und ließen die Gärten in Hannover in all ihrer barocken Pracht in Vergessenheit geraten. So kommt es, dass die Anlagen nicht entsprechend des späteren Modegeschmacks modernisiert wurden und weitgehend in ihrer ursprünglichen Form erhalten sind.
Normalerweise könnten wir das alles auch viel eindrücklicher und ausführlicher im Museum erfahren, aber da sind heute schon die Caterer oder die Bombensucher mit ihrer Vorbereitung am Gange (wahrscheinlich beide).
Draußen bleibt umso mehr Platz für uns, denn normale Besucher sind heute kaum unterwegs. Am Himmel wechseln sich – typisch April – dramatische Regenwolken und strahlender Sonnenschein ab, aber zum Glück bleibt es trocken. Wir schlendern am großen Parterre mit der Glockenfontäne entlang – genau da, wo tags drauf Merkel und Obama die Hände der Hannoverschen Honoratioren schütteln.
Von der Aussichtsterrasse haben wir einen guten Blick, nicht nur auf die schicken Muster der Buchsbaumhecken, sondern auch auf die Übertragungswagen der Fernsehsender, die alle schon angerückt sind.
Spaß für Kinder im Großen Garten
Ein Highlight der Jungs ist natürlich der Irrgarten, der aus mannshohen Buchenhecken besteht. Den Pavillon in der Mitte zu erreichen, ist gar nicht so einfach – und raus ist noch schwieriger als rein. Die einzigen anderen Besucher in Sichtweite treffen wir drei Mal, weil wir uns immer wieder in der Mitte begegnen.
Mir gefallen vor allem die acht Themengärten, die ebenfalls von Buchenhecken umschlossen sind. Jeder einzelne ist schon ein Kunstwerk für sich. Der Springwasser-Garten lässt wunderbare Erinnerungen an die Alhambra und die Gärten des Alcazar von Sevilla in Andalusien aufkommen (wenn wir durch das Original natürlich auch für nördliche Nachbildungen verdorben sind).
Im niederdeutschen Blumengarten steht gerade jetzt im Frühling alles in herrlichster Blütenpracht.
Ganzer Stolz der früheren Besitzer war die große Fontäne im hinteren Teil des Gartens, die schon im 18. Jahrhundert eine Höhe von biszu 70 Metern erreichte. Als wir dort ankommen, sind die Wasserspiele grad vorbei – egal, es gibt immer noch genug zu entdecken. Hier hinten dominieren die streng geraden Flanierwege entlang der allgegenwärtigen Buchenhecken. Sie teilen den Raum dazwischen in geometrische Kuchenstücke, die allesamt „geheime Gärten“ sind. Sie lassen sich mit eisernen Toren verschließen, aber nun stehen sie offen. Dahinter befinden sich manchmal kurze gekieste Wege und Bänke, aber in vielen herrscht Wildwuchs – sehr aufregend, finden die Jungs, wenn alles drum herum mit der Nagelschere geschnitten zu sein scheint.
Die Grotte von Niki de Saint Phalle
Und dann ist da noch die Grotte, denn eine solche gehörte damals zu den Must-Haves der höfischen Gartenfreunde. Kurz nach der Jahrtausendwende gestaltete Niki de Staint Phalle, die auch Hannovers berühmte Nanas schuf und deren Kunst auch zuhauf im Sprengel-Museum zu besichtigen ist, das Gebäude in ihrem provokativ quietschbunten Stil, der auch Kinder in besonderem Maße anspricht. Als die Grotte 2003 eröffnet wurde, stand halb Hannover Schlange, um die farbenfrohen Figuren in drei unterschiedlich gestalteten Grottenräumen zu sehen.
Der Berggarten: Es gibt auch natürliche Natur in Herrenhausen
Nach rund zwei Stunden sind wir durch mit dem Großen Garten, und Martin muss los, um seinen Messestand zu begutachten. Die Jungs und ich wechseln die Straßenseite und nehmen uns den nächsten Herrenhäuser Garten vor: den Berggarten. Er befindet sich in unmittelbarer Nähe direkt neben dem Regenwaldhaus, aus dem nach der EXPO2000 ein Sealife-Aquarium geworden ist.
Der Berggarten war ursprünglich für die Versorgung des kurfürstlichen Hofes angelegt, verwandelte sich im Laufe der Zeit aber in einen botanischen Garten. Themenbeete empfinden den Bewuchs in Wüsten und Steppen nach, alle Pflanzen tragen Namensschilder. „Hier ist es viel schöner!“ ist Janis‘ erste Aussage, als wir auf dem geschwungenen Weg zwischen Blumen und Sträuchern spazieren. Tatsächlich liegt hier sogar das Paradies. So heißt das Herzstück des Gartens, ein üppig bewachsenes Knäuel aus schmalen Pfaden, Bäumen und Büschen, die zu dieser Jahreszeit in schönster Blüte stehen.
Silas schwärmt vor allem für die Gewächshäuser. Es gibt eins extra für Kakteen, die mitunter sehr skurril anmuten. „Wie in Hogwarts“, ruft er begeistert. „Wo ist Professor Sprout? Ich glaube, ich hab die Alraunen gefunden.“
Wir machen noch mehrere unerwartete Entdeckungen: hexenhafte Süntelbuchen, das Mausoleum der Hannover-Könige und ein Kuchenbaum. Um die letztgenannte Attraktion erleben zu können, müssten wir allerdings im Herbst wiederkommen. Während der Blattfärbung soll die botanisch uralte Pflanze appetitlich nach frisch gebackenem Kuchen durften.
Bisschen schwierig: Einkehr nach den Herrenhäuser Gärten
„Meine Füße sind abgelatscht!“ – „Und ich hab Hunger!“ Nach mehr als drei Stunden Gartenrundgang ist dann doch die Luft raus. Ein Picknick haben wir heute leider nicht dabei. Beim Wechsel zwischen Großem und Berggarten sind wir – heute ausnahmsweise – durch das zu den Parks gehörende Café Schlossküche gegangen und haben festgestellt, dass es dort schick, aber auch teuer ist (mit 4 Euro pro Kuchenstück Rügener Preise). Am Ausgang an der Hinterseite des Berggartens weist ein Schild zu einem Biergarten, aber es sieht mal wieder sehr nach Regen aus. Nach einigem hin und her motiviere ich meine Kinder, mit mir bis in die Callinstraße in mein altes Uni-Viertel zu laufen. Das sind noch einmal 20 Minuten Fußmarsch, aber auf diese Weise kriegen wir auch noch den Georgengarten aus dem 18. Jahrhundert zu sehen, ein Landschaftspark nach englischem Vorbild, der öffentlich zugänglich ist. Hier befindet sich auch ein Spielplatz (weder im Großen Garten noch im Berggarten gibt es einen).
Auch kulinarischerseits sind wir uns schnell einig, dass der Weg sich gelohnt hat. Im kleinen Café Pausentraum (Callinstraße 10) genießen wir hervorragenden selbstgebackenen Kuchen (2,20 Euro das Stück), heiße Schokolade und Kartoffelsuppe. Bis Martin soweit ist und uns – außerhalb der Sicherheitszone – wieder aufliest, hängen wir ganz studentisch ab (was den einen oder anderen Sohn zum Nachdenken bringt, ob er nicht doch ein Abitur in Erwägung ziehen sollte, wenn nur dieses ihn zu dieser Art Studentenleben berechtigt).
Praktische Hinweise für die Herrenhäuser Gärten mit Kindern
Adresse (fürs Navi): Die Herrenhäuser Gärten haben die Adresse Herrenhäuser Str. 3 in Hannover.
Parken: Parkplätze sind ausgeschildert, reichlich und kostenpflichtig (Zahlen mit Geldkarte ist möglich).
Haltestelle: Mit der Stadtbahn der Üstra sind die Herrenhäuser Gärten über die Linien 4 und 5 zu erreichen, Haltestelle Herrenhäuser Gärten.
Eintrittspreise: Der Eintritt in die Herrenhäuser Gärten kostet für Erwachsene im Gesamtpaket (Großer Garten, Berggarten, Museum) von April bis Oktober 8 Euro, im Winter 6. Kinder bis zwölf Jahre sind frei, darüber zahlen sie 4 Euro (im Winter 3). Es gibt auch Familienkarten, aber die lohnen sich erst ab zwei Kindern über zwölf.
Öffnungszeiten: Die Öffnungszeiten der Herrenhäuser Gärten richten sich nach der Jahreszeit. Geöffnet wird immer um 9 Uhr (Museum um 11 Uhr), geschlossen frühestens um 16.30 Uhr (November bis Februar), dann schrittweise später und von Mai bis Ende August erst um 20 Uhr. Museum, Grotte und Gewächshäuser schließen früher, die genauen Öffnungszeiten hängen aber auch aus.
Noch mehr Fotos von unserem Ausflug in die Herrenhäuser Gärten
Transparenz-Hinweis: Der Ausflug in die Herrenhäuser Gärten war für uns als Blogger kostenlos. Das ändert nichts daran, was und wie ich schreibe, aber es gehört zu meiner Blogger-Ehre, das jeweils dazuzusagen. :)
Vielen Dank. Sehr gelungener Beitrag. Richtig rund! Die Jungs haben die richtige Mama gefunden… ;-)
Oh, danke schön, das ist ja ein großes Lob! :)
(Übrigens kann ich bei euch im Blog aus irgendeinem Grund nicht mehr kommentieren, bzw. mobil nicht, und ich lese immer unterwegs. Aber lesen tu ich meistens über eure letzte große Reise, und das sehr interessiert! ;) )
Ich habe die Kommentare abgestellt. 5 und mehr Spamkommentare pro Tag.
Schöner Beitrag.
Man kann übrigens kleinigkeiten im Café des SeaLife essen. Oder im Milchhäuschen, vor der Herrenhausen-Info (das wäre allerdings wieder draußen…)
Ah, danke für die Ergänzung!
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[…] einmaligem Bogenaufzug, viel Grün (Lena von family4travel beschreibt einen Ausflug in die Herrenhäuser Gärten), einem sehenswerten Erlebnis-Zoo und relaxten […]