An dieser Stelle möchte ich euch künftig jeden Freitag Ausflugstipps aus der Region Schaumburg und dem größeren Umkreis präsentieren. Den Anfang macht die Badeinsel in Steinhude. Laaangweilig – schon wieder Steinhuder Meer. Ja schon, aber diesmal mit Special Guest: dem Dalai Lama! Der war nämlich letzte Woche auf der Badeinsel in Steinhude zu Gast, und das war schon ein recht gediegenes Spektakel.
Etwas außerhalb der Steinhuder Ortsmitte liegt sie, die künstliche Badeinsel. Sie ist gut ausgeschildert, aber wer auf dem riesengroßen Parkplatz mit den 1000 Stellplätzen am Ortseingang parkt, muss schon einen guten Kilometer durch die Gegend schlappen, bevor er sein Gummitier zu Wasser lassen kann. Oder den Dalai Lama inspizieren. Er sollte jedenfalls nicht (wie wir) auf die letzte Kracke losfahren oder mehr Glück beim Ergattern der spärlicheren Parkplätze in Strandnähe vorweisen.
Fast als Letzte zeigen wir unser Ticket vor (alle Einnahmen gehen an ein Kinderhilfsprojekt, sagt der Dalai Lama) und überqueren die eher funktionale Brücke, die auf die 35000 Quadratmeter große Insel führt. Bunte Fähnchen flattern hier im Wind, typische buddhistische Gebetsflaggen, die Schüler mit ihren guten Wünschen für die Welt beschriftet haben. Die buddhistische Tradition besagt, dass die Gebete erhört werden, sobald der Wind den letzten Fetzen in den Himmel getragen hat. Könnte also irgendwann etwas unappetitlich werden, der Anblick. Aber da ich selbst im Vorbeihetzen mehrere Male den Begriff „Weltfrieden“ lese, sollte sich die Ausdauer durchaus lohnen.
Während uns die ersten Worte des tibetischen Gelehrten schon über Lautsprecher zugetragen werden, erreichen wir schwer atmend die Liegewiese. Hier haben sich 4000 Weltoffene, Sinnsucher und Befürworter des interreligiösen Dialogs versammelt. Vielleicht sind es auch ein paar weniger von denen, denn was da auf Picknickdecken und Campingstühlen im Gras lagert, sieht zum gar nicht mal so kleinen Teil verdächtig nach verdonnerten Schülergruppen, Promijägern und Event-Haschern aus. Aber mal an die eigene Nase gefasst: Warum sind wir denn da, in voller Besetzung mit Mutter-Vater-Kind-und-Kind an einem frühen Donnerstagnachmittag? Als studierte Religionswissenschaftlerin habe ich natürlich die perfekte Daseinsberechtigung. Und als Kultur-orientierte Mutter will ich die Gelegenheit nutzen, meinen Jungs ein Fenster in andere Weltsichten zu öffnen. Martin ist da schon ehrlicher mit sich selbst: „Wenn der Dalai Lama schon mal hier in unsere Gegend kommt, dann will ich mir den natürlich auch angucken.“
Was er so sagt, der alte Mann mit dem ansteckenden Lachen, der sich mit „Ihre Heiligkeit“ ansprechen lässt, und wie es kam, dass er im kleinen Steinhude gelandet ist, haben andere längst ausführlich zusammengefasst. Da sind auch keine neuen Erkenntnisse dabei, bei seinen Weisheiten: Seid freundlich um eurer selbst Willen, Zorn bedeutet Schwäche, Vergebung und Mitleid sind Zeichen innerer Stärke. Die Jungs lassen sich in der hintersten Lunger-Reihe auf den feuchten Rasen fallen und packen ihre Käsebrötchen aus. Mit Bestechungen und Drohungen hab ich sie darauf geeicht, keinen Mucks von sich zu geben, während der hohe Herr redet. Sie halten sich an unsere Abmachung, schauen sich kauend die orange-rote Gestalt an, die von hier hinten gesehen kaum daumengroß ist. Der Dalai Lama redet Englisch, hat aber einen Dolmetscher dabei. Der muss zusehen, dass er hinterher kommt, denn das Publikum reagiert freilich immer schon direkt auf die Worte des großen Meisters, der trotz seines schweren asiatischen Akzents gut verständlich spricht.
Mit drohenden Blicken ermahne ich die Jungs zum Zuhören. Als sie aufgegessen haben, steht Janis auf und flüstert mir zu: „Ich geh dann mal zum Strand.“ Ich seufze. Mal ehrlich, aufmerksam immer wieder minutenlange englische Wortschwälle über sich ergehen lassen zu müssen, unterbrochen von deutschen Vokabeln weit außerhalb ihres aktiven Wortschatzes, und das mit einem Sandstrand in Sichtweite – nee, das kann man von keinem Kind im Grundschulalter verlangen. Also lasse ich den Großen ziehen, und den Kleinen auch, sobald er ausgekaut hat.
Die anderen Kinder im Publikum sind meist größer und mit der Schule da, oder ganz klein. Ein Stück neben uns versucht eine alternativ angehauchte Mutter ihr Kleinkind zu bändigen. Der Junge nörgelt und wird immer lauter dabei. Er hat keine Lust mehr, auf der Picknickdecke zu sitzen und seiner Mutter beim andächtigen Lauschen zuzugucken. „Pssst!“ zischt eine ältere Dame in Ringelstreifenpullover ärgerlich, während der Dalai Lama davon erzählt, dass wir Feinde und „troublemakers“ dringend brauchen, um unsere Nächstenliebe zu praktizieren. Ich tue es ihm gleich und kichere glucksend in mich hinein.
Martin stößt mich in die Seite und sagt: „Ich glaub, der Dalai Lama ist ne richtige Ulknudel. Der könnte ruhig mal zum Couchsurfen vorbeikommen.“ In der Tat wirkt seine Heiligkeit sympathisch, charismatisch, lebensnah. In der Fragestunde, die sich seiner Redezeit anschließt, beantwortet er unzensierte Schülerfragen wie: „Haben Sie ein Handy?“ Hat er nicht, übrigens, kann er nicht mit umgehen. Religiöse Fragestellungen dagegen beantwortet er ausweichend. Jeder so wie er mag, lautet seine Devise. Nur nett und freundlich sollte man sein. Wer sich handfeste Lebenshilfe erhofft hat, ist hier falsch. Und als eine junge Frau fragt, was sie denn als Schülerin tun könne, um die Welt zu verbessern, lautet die Antwort des Dalai Lama, zusammengefasst: Leute wie ich können da nichts zu sagen, wir gehören ins vergangene Jahrhundert. Euch gehört die Zukunft, macht was draus, aber machen müsst ihr. Dann lacht er, lässt sein glucksendes, ansteckendes Markenzeichen hören, und es klingt fast ein bisschen schadenfroh. Cooler Typ, denke ich mir. Den hätte ich wirklich gerne mal als Couchsurfer zu Gast, um an einem langen Abend bei einem grünen Tee über Gott und die Welt zu philosophieren.
Meine Jungs gestalten die Zukunft währenddessen schon sehr aktiv in Form einer Sandburg. Als ich ins Hinterland der Veranstaltung vorstoße und sie am überschaubaren Strand ausfindig mache, haben sie die Festung gerade schon wieder geschleift. Sie haben eine Halbinsel gefunden und die Dünen erkundet und sind mit der Klettergerüst-Rakete auf einen fremden Planeten geflogen. Hier ist alles geschützt und überschaubar, das Wasser ist moorig-dunkel, aber nicht mal knietief. Mit gutem Gewissen kann ich die Kinder ihren Expeditionen überlassen und mich wieder dem Buddhisten mit Popstar-Status zuwenden, der gerade erläutert, dass er selbst keinesfalls gesteigerten Wert auf Bodyguards legt.
Unter tosendem Applaus verabschiedet sich seine Heiligkeit schließlich. Ein Vertreter der Tourismus-Förderung Steinhuder Meer wünscht sich noch, man möge doch einen schönen Tag auf der Badeinsel und in der Region verleben, während im Nieselregen Inspirierte, Zufriedene und Touristen der Brücke entgegeneilen. Wir folgen dem Ratschlag, denn wir müssen die neu entdeckte Halbinsel schließlich noch in Augenschein nehmen. Es gibt auch noch Duschen, Toiletten und einen netten größeren Spielplatz.
„Aber was hat der Dalai Lama denn nun gesagt?“ frage ich meine Jungs, als wir später in der gemütlichen Weinstube im Scheunenviertel vor einem Stück Kirschkuchen sitzen. „Was ist von all dem bei euch hängen geblieben?“ Silas rollt mit den Augen, er kann solche Abfragen nicht leiden, wenn er nicht mit klugen Antworten glänzen kann. Janis sagt: „Dass man nett sein soll und keinen Krieg führen soll.“ Ich bin beeindruckt. „Aber das wusste ich auch schon vorher“, vollendet der Große achselzuckend. „Aber die Badeinsel war toll!“ mischt sich Silas nun doch ein. Können wir da im Sommer mal wieder hin?“ Ich seufze. Ja, in der Tat, im Sommer können wir mal wieder hier hin. Ohne Dalai Lama.
Das Steinhuder Meer liegt etwa 30 Kilometer nordwestlich von Hannover. Die Badeinsel befindet sich in Steinhude – Parken kann man, wie gesagt, am besten auf dem Großparkplatz. Sowohl der als auch die Insel sind weiträumig ausgeschildert, Toiletten und Kiosk sind vorhanden. Der Eintritt auf die Steinhuder Badeinsel ist frei.
Schön geschrieben! Klingt nach einem
interessanten Tag.