Heute geht es in die Hundertwasser-Ausstellung im Hamelner Hochzeitshaus. Aber dazu muss ich etwas ausholen.
Wir sind bekanntlich Kunstbanausen. Unvergessen sind Silas’ respektlose Bewertungen der alten Meister in der Nationalgalerie. Auch mir ist es nie gelungen, die Begeisterung meiner Mutter für die zarten Tupfen der französischen Impressionisten oder die ausdrucksstarken Pinselstriche eines Vincent van Gogh zu entwickeln. Trotzdem habe ich immer versucht, meinen eigenen Kindern dieses wertvolle Stückchen Allgemeinbildung näher zu bringen – mit obigem Ergebnis. Etwas als toll und sinnvoll verkaufen, das man selbst nicht allzu sehr schätzt, kann man als Mutter in aller Regel gleich vergessen.
Aber es gibt eine Ausnahme. Zu Hundertwasser haben Janis, Silas und ich eine besondere Beziehung. In einem dieser Versuche, meinen Kindern Kunst zu vermitteln, erwarb ich vor Jahren zum Schnäppchenpreis diese Hörspiel-CD. Über den ungewöhnlichen Lebensweg des exzentrischen Mannes, seine gewöhnungsbedürftige Philosophie und seinen Einsatz in der erst zart aufkeimenden ökologischen Bewegung wussten wir also schon ein bisschen Bescheid. Die schillernde Persönlichkeit des Universalkünstlers, der zum Beispiel seine „Linie von Hamburg“ in den Räumen der Kunsthochschule kilometerweit über Fensterschreiben und Heizkörper malte, stieß bei Janis gleich auf Begeisterung. Seitdem will er Künstler werden (zumindest wenn er nicht gerade zum Berufswunsch Glasbläser, Marzipandekorateur oder Bernsteindrechsler animiert wird..
Das Dumme an Kunstausstellungen ist ja, dass dort meist bloß Bilder an der Wand hängen. Man stolpert verloren und ahnungslos zwischen ihnen herum, fühlt sich verpflichtet, ein verständiges Gesicht zu machen und kommt sich vor wie der Teilnehmer eines Spiels, dessen Regeln man nicht verstanden hat. Also, so geht es mir jedenfalls. Kunstausstellungen an sich gehen wir also lieber aus dem Weg. Aber als wir von der Hundertwasser-Schau im Hamelner Hochzeitshaus hören, sind wir drei Kunstbanausen doch gleich bereit, diesem speziellen Herrn eine Chance einzuräumen.
Und was soll ich sagen – es lohnt sich! Das liegt vor allem daran, dass wir an einer ganz prächtigen Führung teilnehmen dürfen. Susanne Gutsche heißt die Dame, die uns die ganz unterschiedlichen Werke aus verschiedenen Schaffensphasen näher bringt. Sie schart die gar nicht mal so kleine Gruppe Besucher um sich, die an diesem Samstagnachmittag ins Hamelner Hochzeitshaus gekommen sind, und sie sprüht vor Begeisterung. „Was fällt euch denn als erstes auf, wenn ihr euch diese Bilder anguckt?“ richtet sich die Gästeführerin zuerst an die Kinder. „Sie sind bunt“, sagt ein Mädchen, das einzige andere Kind der Gruppe, und hat damit genau den Punkt getroffen. Susanne Gutsche hat schon viele Schulklassen durch die Ausstellung geführt, und es gelingt ihr wunderbar, auch die Jungs zu beteiligen und zu fesseln.
Trotz unserer hinlänglichen Vorbildung erfahren wir viel Neues. Beeindruckt lausche ich der Geschichte von der Wienerin Elsa Stowasser, der Mutter des Künstlers, der es durch gezielte Anpassung gelang, sich und ihren Sohn trotz ihres jüdischen Glaubens halbwegs unbeschadet durch die Nazidiktatur zu bringen. Ich hatte mich immer gewundert, wie das klappen konnte. Unsere Gästeführerin kennt alle Geschichten und erzählt sie so lebendig, als wäre sie selbst dabei gewesen.
Wir hören viel über den Herrn mit dem hübschen Künstlernamen – im Ganzen lautet der übrigens Friedensreich Regentag Dunkelbunt Hundertwasser, und wir wissen nun auch genau, wie es dazu kam. Aber natürlich wollen wir jetzt auch mal das angucken, wofür er so berühmt geworden ist. Die Ausstellung mit dem schlichten Titel „Hundertwasser“ zeigt neben Briefmarken und Architektur-Fotos vor allem Drucke in Plakatgröße. Jeder ist vom Künstler selbst unterschrieben und gilt damit als Original, wie Susanne Gutsche uns erklärt. Dass sich Hundertwasser mit dieser Regelung nicht zufrieden gab, sondern es als Ehrensache betrachtete, an jedem einzelnen Druckprozess selbst beteiligt zu sein, erzählt sie anschaulich anhand der Bilder an der Wand. Die Stellwände bilden eine Spirale – ein Symbol, das der Künstler auch gern verwendet hat. Im Inneren hängen unter anderem vier Beispiele des populären Werkes „Good Morning City Bleeding Town“. 10.000 Exemplare fertigte Hundertwasser davon, mit einem Team von Druckern, versteht sich. Aber – und jetzt kommt das, was mich umgehauen hat – es gibt unzählige Farbvariationen. Grüne Fenster, silberne Wolken, roter Turm: das Motiv mit den Hochhäusern gibt es 10.000 Mal, aber mit genau diesen Merkmalen existiert nur eine Handvoll. „Den Fließbandprozess ad absurdum geführt“, wie der Künstler selbst stolz bemerkte. Farbvariante, Beteiligte am Druckprozess und den Platz in der Chronologie seines Gesamtwerkes hat Hundertwasser penibel auf jedem Exemplar vermerkt. Dank unserer Führung lernen wir die Regeln und können uns endlich als legitime Mitspieler des Kunstkenner-Spiels betrachten. Auch die verschiedenen Drucktechniken erklärt uns Susanne Gutsche, und zum ersten Mal in meinem Leben kapiere ich die Unterschiede zwischen Hochdruck, Tiefdruck, Siebdruck.
Rund eine Stunde dauert die Reise in das unbekannte Metier Kunst. Danach stöbern wir noch auf eigene Faust durch die Ausstellung, die wir nun mit ganz anderen Augen betrachten: Da hängen mehr als schnöde Bilder an der Wand – da hängt die Seele eines Menschen. Janis erwählt sich mit großem Ernst sein Lieblingsbild („Good Morning City Bleeding Town“ mit goldenen Wolken, schwarzen Fenstern und gelbem Turm). Silas hingegen hat die Nase voll von Kunst – er hat Hunger, und er duldet auch nicht, dass ich noch ein paar ordentliche Fotos mache.
Zum Abschluss legen wir noch eine Teestunde in einem Café ein. Das machen wir gern, um unsere Gedanken über das Erlebte zu ordnen und zu teilen. Diesmal sind wir auf Empfehlung der Tourist Information im „Me Lounge“ am Weseranleger gelandet. Die Kinder löffeln einen liebevoll zurechtgemachten Eisbecher, ich nippe an meinem Cappuccino. Der große Pluspunkt dieses Etablissements ist die hübsche Spielecke mit Kinderküche, Holzeisenbahn und Malbüchern. Der große Minuspunkt ist der Raucherbereich, aus dessen zumeist offenen Türen beständig Rauchschwaden in das Café ziehen.
„Wie hat euch denn die Hundertwasser-Ausstellung gefallen?“ frage ich meine Jungs. „War okay“, sagt Silas, der an seinem Status als Kunstbanause festhält. „Ich seh das so, wie Janis das über das Fußballstadion gesagt hat: Mal ganz nett, aber ein Mal reicht.“
„Ich fand es sehr interessant“, gibt Janis differenzierter zu Protokoll. „Und es war vor allem gut, dass wir die Führung hatten. Sonst hätten wir zum Beispiel nicht erfahren, wie Hundertwasser auf den Autoreifen vor der Druckerei geschlafen hat, als er das eine Mal nicht mitdrucken durfte, und wie er dann die Ränder kruckelig abgeschnitten hat, damit es doch wieder ein Originalbild von ihm ist. Wenn man sich das Bild nur einfach so angeguckt hätte, wäre einem das ja gar nicht aufgefallen.“ – Genau mein Punkt!
Fazit: Kunstausstellungen können selbst Leute wie uns beeindrucken. Eine gute Führung ist dabei Gold wert!
Die Hundertwasser-Ausstellung im Hochzeitshaus Hameln (Osterstraße 2, mitten in der Altstadt) ist noch bis zum 1. Januar 2014 zu sehen. Eine Familienkarte für einen Erwachsenen und bis zu zwei Kinder kostet 8 Euro, für zwei Erwachsene und bis zu vier Kinder 15 Euro. Öffentliche Führungen finden samstags und sonntags je um 14 und 16 Uhr statt und kosten zusätzlich 3 Euro pro Person.
Die Adresse des „Me Lounge“ lautet Am Stockhof 2. Es ist täglich von 9 Uhr bis in die Puppen geöffnet. Gleich daneben liegt der „2-Euro-Parkplatz“, auf dem man für eben jenen Betrag sein Auto den ganzen Tag lang abstellen kann. Wer nicht so weit laufen möchte, sollte eines der (teureren) Parkhäuser der Altstadt nutzen.
Freitags zeige ich euch spannende Ausflugsziele aus Schaumburg und der näheren (und weiteren) Umgebung. Es gibt so viel zu erkunden in aller Welt, aber auch bei uns zu Hause warten genügend kleine, große und völlig unterschätzte Sensationen darauf, entdeckt zu werden. Und vielleicht ist ja genau die richtige Idee für eure Wochenend-Planung dabei?
Unser Besuch der Hundertwasser-Ausstellung war dank Vermittlung der HMT Marketing für uns kostenlos – vielen Dank dafür. Die Begeisterung ist trotzdem echt! ;)
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