Ålesund ist eine ungewöhnliche Stadt – zumindest nach norwegischem Standard. Ein großes Feuer hat 1904 fast den kompletten Ort zerstört. Was für die damaligen Bewohner eine Tragödie bedeutete, beschert uns heute ein interessantes Stadtbild voller Jugendstil-Architektur – in der norwegischen Variante freilich. Wir haben Ålesund mit Kindern erkundet. Mit dem Waldehuset Museum haben wir dabei einen ganz besonderen Ort aufgestöber. Er ist eigentlich gar kein Museum, sondern mehr der Schauplatz eines wundersamen Ereignisses und illustriert Ålesunds Geschichte auf ganz bezaubernde Weise .
Landgang in Alesund: Bezaubernder Notnagel
Dass wir in Ålesund sind, ist eigentlich Zufall. Auf unserer Nordland-Kreuzfahrt stand die norwegische Küstenstadt nicht auf dem Fahrplan. Doch dann schlagen die Wellen zu hoch, und unser Landgang auf den Lofoten muss – leider, leider – ausfallen. Unser Kapitän verspricht uns Ersatz. Aber ich bin knatschig. Auf die Lofoten hatte ich mich so sehr gefreut. Dann hoffe ich wenigstens auf Trondheim, damit ich mir den Nidarosdom noch mal richtig angucken kann. Aber auch daraus wird nichts. Mit Entfernung und Tageszeiten kommt das nicht hin, erklärt uns der Kapitän. Über Durchsagen hält er die Passagiere auf dem Laufenden, was die Alternativ-Planung angeht. Schließlich präsentiert er uns Ålesund als Plan B.
Ålesund? Nie gehört.
Wie sich herausstellt, liegt die Stadt so ungefähr auf halber Strecke zwischen Trondheim und Bergen, mitten in Fjord-Norwegen. Rund 46.000 Menschen wohnen in dem Ort. Bergener Kaufleute gründeten ihn im 15. Jahrhundert als Handelsniederlassung. Der Exportschlager hieß Stockfisch. Nirgendwo wurde damals mehr davon umgeschlagen als in Ålesund.
Alesund mit dem Kreuzfahrtschiff: Landgang individuell
Wir gehen von Bord und lassen die Hafenbaracken hinter uns, die überall gleich hässlich sind. Dann stehen wir schon mitten im Zentrum. In Hammerfest und Tromsø haben wir erst eine ganze Weile laufen müssen, um in die Innenstadt zu gelangen. (Andere würden sagen, man muss einen Shuttlebus nehmen.) In Ålesund sind es wirklich nur ein paar Meter.
Die Stadt macht einen sehr unnorwegischen Eindruck auf uns, erinnert uns eher ein bisschen an Schottland. Das liegt daran, dass alle Häuser hier aus Stein erbaut sind.
Im Januar 1904 leistete den beiden Nachtwächtern der Margarinefabrik vermutlich ihr guter Freund Branntwein Gesellschaft. Jedenfalls kippte eine Öllampe um, und keiner der beiden Männer bemerkte das Malheur, bevor es zu spät war. Zwischen den Holzhäusern breitete sich das Feuer rasend schnell aus. Die ganze Nacht und den kompletten folgenden Tag wüteten die Flammen. 850 Häuser brannten ab, 10.000 Menschen wurden obdachlos.
Mit freundlicher Unterstützung vom Kaiser
Dass Ålesund nach dieser Katastrophe so schnell wieder aufgebaut werden konnte, verdankt die Stadt ausgerechnet dem deutschen Kaiser Wilhelm II. Der war nämlich ein ausgemachter Norwegen-Fan und mit seiner kaiserlichen Jacht immer wieder gern in den Nordmeer-Gewässern unterwegs. Als er von dem Unglück hörte, schickte er zwei fix und fertig beladene Schiffe mit Hilfsgütern nicht, wie ursprünglich geplant, nach Afrika, sondern in die norwegische Provinz. Schon damals schadeten gute Beziehungen nur denen, die keine hatten.
Die Norweger waren über die handfeste Hilfe so dankbar, dass sie nach dem deutschen Monarchen eine ihrer Hauptstraßen benannten. Während die meisten Norweger seit der Besatzung durch die Wehrmacht und allerspätestens seit deren völlig bescheuerter Rückzugspolitik der verbrannten Erde schlecht auf die Deutschen zu sprechen waren, heißt die Straße in Ålesund bis auf den heutigen Tag Keiser Wilhelm gata.
Jugendstil in Alesund
Seit dem Brand mussten alle Häuser im Zentrum per Dekret aus Stein erbaut werden. Wir bummeln an den bunten Variationen norwegischen Jugendstils vorbei. Deren verspielte Blumenranken sind kurioserweise immer wieder von Erdbeeren geziert.
Erst am Rand des Stadtkerns begegnen uns wieder mehrere Holzhäuser. Hier merken wir wieder deutlicher, dass wir in Norwegen sind.
Aussichtspunkte in Alesund
Da die y-Chromosomen in unserer Familie in der Mehrheit sind, steigen wir natürlich wieder auf den nächstliegenden Berg, um runter zu gucken. Zu meinem Glück ist das zunächst nur der hügelige kleine Park in der Nähe der Kirche und der Schule an der Gange Rolvs gate. Da Ålesund auf mehreren kleinen Inseln liegt, die alle mit Brücken untereinander verbunden sind, können wir in mehreren Richtungen aufs Meer blicken.
Als nächstes möchte Martin noch auf den Aksla-Berg, deren steiler Aufstieg an dem zickzackförmigen Wanderweg von unten gut zu erkennen ist. Die Fjellstua oben drauf ist die Hauptsehenswürdigkeit von Ålesund.
Waldhuset Museum: Schönes Café und spannendes Mini-Museum
Zeit haben wir noch genug, aber Lust habe ich keine zum Bergsteigen. Auf der Suche nach einer tiefer gelegenen Alternative halte ich meine Augen offen. Schließlich erblicke ich ein hübsches kleines weißes Holzhäuschen mit der Aufschrift Museum. „The house that didn’t burn“, wirbt eine Schiefertafel vor dem Eingang. Das Haus, das nicht verbrannte.
Neugierig stecke ich meinen Kopf durch die Haustür und sehe in ein hübsch eingerichtetes, aber auf den ersten Blick wenig museales Café. Da wir als Kreuzfahrttouristen (und dann auch noch solche von der kostenbewussten Sorte) mehr als vollverpflegt sind und an Land keinerlei zusätzliche Nahrung benötigen, will ich mich schon enttäuscht zurückziehen. In dem Moment werde ich aber hellhörig, als in einem Gespräch zwischen einem älteren Paar und einer Angestellten direkt neben mir deutlich der Begriff „kostenlose Führung“ fällt. Dreist frage ich nach, ob wir uns anschließen dürfen.
Klar dürfen wir, sagt Mette, die Hauswirtin. Sie kümmert sich um das Café, erzählt sie, obwohl sie eigentlich bloß eine ganz normale Angestellte der Kirchengemeinde war. Die hat das Haus mit Spendengeldern erworben, um es vor dem Verfall zu retten. Jetzt serviert sie Kaffee und Kuchen in den mit viel Liebe zum Detail eingerichteten Räumen. Außerdem nimmt sie Reservierungen für Vermietungen entgegen und führt Besucher durch die oberste Etage.
Dort nämlich soll es sich zugetragen haben, das Wunder von Ålesund. Mette führt uns und das britische Ehepaar (ebenfalls Kreuzfahrttouristen, von der Boudicca, die im Hafen neben uns liegt) in ein kleines Schlafzimmer. Gemütlich sieht es hier aus, wie in einem Bilderbuch von Astrid Lindgren. Nur die kleine Engelsstatue vor dem Fußende des hölzernen Bettgestells sorgt für ein wenig Kitsch. Wir setzen uns auf das große Einbau-Sofa unter der Schräge. Dort lauschen wir gespannt der Geschichte, die Mette uns erzählt.
Eine wahre Legende: Der Engel von Alesund
Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, vor dem großen Brand, wohnte ein Mann namens Anders Nord in diesem kleinen weißen Haus. Er und seine Frau waren nicht mehr jung. Ihre Tochter war groß und fortgezogen.
Die Prophezeiung
Eines Tages bekam Anders Besuch von einem Engel – so jedenfalls erzählt es die Legende. Der Engel warnte den gottesfürchtigen Mann: Ein großer Brand werde ausbrechen und die ganze Stadt verschlingen. Anders solle aber keine Angst haben, denn als einem der Seinen werde der Herr ihn verschonen. In seinem Haus würde er sicher sein.
Anders erzählte seiner Frau von dieser Begegnung. Die lächelte und dachte sich ihren Teil. Ob Anders öfters solche Anwandlungen hatte und ob man ihn sowieso schon für wunderlich hielt, weiß ich nicht.
Der Brand von Alesund
In der Nacht darauf brach jedenfalls tatsächlich ein Feuer aus. Die Kanonenschläge des Alarms weckten das Ehepaar. Zuerst wüteten die Flammen unten in der Innenstadt. Doch unaufhaltsam krochen sie den Hang hinauf. Die Straße hinunter schafften die Nachbarn alles, was sie tragen konnten, aus ihren Häusern. Es galt zu retten, was sich retten ließ.
Auch Frau Nord geriet in Panik. Ob ihr Mann den Brand nun vorausgesehen hatte oder nicht, auf jeden Fall waren sie in Gefahr! Sie bekniete Anders, er möge ihr helfen und die Möbel in Sicherheit bringen. Doch der weigerte sich. Gottes Engel habe ihm gesagt, dass dem Haus nichts passieren würde, erklärte er ein ums andere Mal.
Also bat Frau Nord ein paar kräftige Männer aus der Nachbarschaft um Hilfe. Die trugen die wenigen wertvollen Dinge, die das Ehepaar besaß, ein ganzes Stück weit weg. Bis dorthin, wo der nackte Fels des Aksla-Berges beinahe senkrecht aufragt. Dort türmten viele Stadtbewohner ihr mobiles Hab und Gut auf. Dann rannten sie, im vergeblichen Versuch, die Feuersbrunst zu löschen, zurück.
Der Mann, der an ein Wunder glaubt
Als letztes wollten die Männer auch Anders Nord unter die Arme greifen und den alten Mann aus seinem Haus tragen. Der aber weigerte sich standhaft. Er lag im Bett, die Bibel aufgeschlagen vor der Brust. Kein Appell an die Vernunft half, auch nicht das Weinen seiner Frau.
Die Männer fanden, dass sie Wichtigeres zu tun hatten, als einen irren Nachbarn gegen seinen Willen zu retten. Sie hasteten fort, um dort zu helfen, wo Hilfe erwünscht war. Frau Nords Gemütsverfassung ist mir nicht überliefert. Auf jeden Fall aber floh sie vor den näher rückenden Flammen und ließ ihren Mann in dem Haus zurück.
Anders Nord berichtete später, er habe die Hitze der Flammen draußen gespürt. Aber die Gebete hätten ihm geholfen, seinen Glauben zu bewahren. Er verbrachte die komplette Feuersbrunst in dem kleinen weißen Holzhaus.
Fakt ist: Das Haus brannte nicht ab. Als einziges im weiten Umkreis blieb es verschont.
Der Berg von Möbeln allerdings, den Frau Nord und ihre Nachbarn errichtet hatten, war am nächsten Morgen nur noch ein verkohlter Haufen.
Weitere Infos über das Waldehuset Museum
Ein Foto vom Waldehuset nach dem Brand habe ich leider nicht. Aber im Header der Facebook-Seite des Café-Museums ist eins zu sehen. Dort steht das kleine weiße Holzhäuschen allein auf weiter verkohlter Flur. Außerdem ist eins von Kaiser Wilhelms Hilfsschiffen zu sehen.
Übrigens kann man das Waldehuset mieten, samt Café und Schlafzimmer, auch über Nacht. Die Leute von Ålesund feiern gerne ausschweifende Geburtstagspartys dort, habe ich mir sagen lassen.
Wer der Geschichte mit dem Brand und dem Engel näher auf den Grund gehen möchte, muss Norwegisch lernen. Zumindest habe ich auf Deutsch nichts weiter gefunden. Der Stadthistoriker Harald Grytten ist aber auch für Anfänger ganz gut zu verstehen. Er erzählt die Geschichte hier auf youtube, und ein Interview mit Anders Nords Enkeltochter gibt es auch noch hintendran.
Das Waldehuset Museum hat die Adresse 6 Grensegata in Ålesund.
Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag und Samstag von 12 bis 16 Uhr, Sonntag 13 bis 16 Uhr.
Der Eintritt ist frei.
Mehr über Alesund mit Kindern
Wir hatten nur diesen einen kurzen Tag in Ålesund mit unseren Kindern. Für einen ersten Eindruck hat das gut gereicht. Echte Fachleute sind wir dadurch natürlich nicht. Garantiert gibt es etliche weitere Attraktionen und Sehenswürdigkeiten, die Familien gefallen könnten. Ein paar davon hat das Familien-Reiseblog gooutbecrazy aufgetrieben. Lese-Empfehlung!
Mehr über Norwegen mit Kindern
In diesem Artikel sind alle Beiträge aufgelistet, die meinem Reisetagebuch aus dem Jahr 2009 entspringen: Norwegen mit (kleinen) Kindern – unsere Erfahrungen. Mit damals noch ziemlich kleinen Kindern haben wir uns das teure Urlaubsland im Norden schon einmal ausführlich angeschaut. Damals waren wir zwischen Oslo, Bergen und Lillehammer unterwegs.
Mehr Nordland-Kreuzfahrt mit Kindern
Da unsere Nordland-Kreuzfahrt – aus komplexen Gründen – direkt an unseren 10 Monate langen Roadtrip quer durch Europa anschloss, habe ich viel zu wenig hier in meinem Reiseblog darüber geschrieben. Das sind die Stationen, die einen Blogbeitrag abbekommen haben:
- Erklärungsversuch: Warum family4travel plötzlich über Kreuzfahrten schreibt
- Landgang: Die Orkney-Inseln an einem Tag
- Skara Brae auf Orkney: Das Steinzeitdorf mit den IKEA-Regalen
- Island individuell an einem Tag: Der Golden Circle
- Isafjördur: Landgang in Islands abgelegenster Stadt
- Dimmuborgir bei Akureyri: Ausflug ins Land der Trolle
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