Genf gilt als eine der teuersten Städte Europas (und der Welt!). Entsprechend horrend sind die Hotelpreise, und entsprechend überlaufen sind auch die (wenigen) Couchsurfing-Gastgeber, die Reisenden kostenlos einen Schlafplatz in ihrem Zuhause zur Verfügung stellen. Wie viele Menschen, die in Genf arbeiten und sich die Mieten nicht leisten können, sind wir deshalb über die Grenze nach Frankreich ausgewichen. In der kleinen Stadt Annemasse haben wir dann sogar einen kompletten Tag verbracht.
Um es gleich vorweg zu sagen: Nein, Annemasse ist eigentlich kein großartig lohnenswertes Reiseziel.
Unsere Couchsurfing-Gastgeber sehen das ganz praktisch: „Annemasse ist ziemlich hässlich, und es gibt nichts, was man sich wirklich ansehen muss. Aber die Infrastruktur zum Wohnen ist gut: Es ist alles da, was man braucht.“
Die Familie, bei der Silas und ich unterkommen, ist „original französisch“, wenn auch beide Elternteile aus anderen Regionen Frankreichs stammen. Mittlerweile wohnen aber auch viele Schweizer und in Genf arbeitende Ausländer in Annemasse – einfach, weil die Immobilienpreise hier drastisch günstiger sind.
Mit dem Bus von Annemasse nach Genf
Mit dem Bus dauert es (je nach Verkehrsaufkommen) etwa eine Stunde bis nach Genf. Die Verbindung ist gut und geht mehrmals die Stunde. Eine einfache Fahrt ohne Ermäßigungen kostet für einen Erwachsenen acht Euro. Die Strecke über die Grenze ist aber auch im Tagesticket für den Großraum Genf enthalten. Das kostet 12 Euro für Erwachsene (für Kinder die Hälfte).
Allerdings: Ein Tagesticket für Genf in Annemasse zu besorgen, ist nicht ganz einfach. Es gibt dort keine Automaten der Schweizer Verkehrsbetriebe. Normale Bustickets werden direkt beim Busfahrer gelöst. Tagestickets sind aber nur in der Tourist-Information zu bekommen. Die befindet sich zum Glück direkt am Busbahnhof, öffnet aber erst um neun Uhr.
Unseren Sightseeing-Tag in Genf verbringen Silas und ich auf diese Weise völlig problemlos in der großen Stadt.
Ein Tag in Annemasse
Auf einen zweiten Tag in Genf haben wir aber beide keine große Lust. Klar, an einem einzigen Tag haben wir längst nicht alle Sehenswürdigkeiten der Stadt gesehen. Aber unser Budget und vor allem auch wir selbst brauchen mal eine Großstadt-Pause.
Außerdem sind wir neugierig auf die französische Peripherie. Wie ist Frankreich hier im Grenzgebiet? Welche Unterschiede können wir erkennen?
Wir legen also einen Relax-Tag auf französischem Boden ein.
Ohne Auto kommen wir da nicht weit, prophezeien uns unsere Gastgeber. Während der ÖPNV in der Schweiz hervorragend ausgebaut ist, fahren auf der französischen Seite kaum Busse. Und wenn, dann nicht dahin, wo es schön ist.
Uns macht das nichts: Wir entschließen uns einfach zu einem Spaziergang durch Stadt und Umgebung.
Was die Stadt betrifft, so finden wir tatsächlich wenig Schönes. Wir schlendern durch eher triste Wohngebiete und ein gesichtsloses Einkaufszentrum (in dem Silas noch einmal vergeblich versucht, ein deutschsprachiges Kinderbuch zu finden). Witzig ist eine Schrebergartenkolonie mitten im Stadtzentrum.
Etwas hübscher wird es im eingemeindeten Ortsteil Ville-la-Grand. Das Dorf ist zumindest früher organisch gewachsen. Hier gibt es einen Marktplatz und eine Kirche. Das Rathaus ist (wie jedes im Land) mit dem Wahlspruch der französischen Revolution beschriftet: liberté, egalité, fraternité.
Und sehr schön angelegt ist dann der Parc des Ecureuils. Zentrum des „Eichhörnchen-Parks“ ist ein Teich mit Fontäne und Wasserfall. Es gibt einen kleinen Spielplatz und mehrere Picknickbereiche.
Von Annemasse ins Grüne
Nach einer ausgiebigen Mittagspause im Park wandern Silas und ich entlang der Bahnschienen aus dem Ort heraus. Ich nutze die Osmand-App, die auf open street maps basiert und auch offline überall in Europa verfügbar ist, wenn man das entsprechende Kartenmaterial der Region vorher runtergeladen hat. Deshalb weiß ich, dass dies der günstigste Weg aus der Stadt heraus ins Grüne ist. Die Bahnschienen haben mich anfangs zweifeln lassen, aber wie sich herausstellt, stören die die Idylle überhaupt nicht. Da wir langsam gehen und immer wieder Pausen einlegen, damit Silas auf Bäume klettern oder im Bach stochern kann, halten wir uns mindestens eine Stunde in unmittelbarer Nähe zur Bahnstrecke auf, und in dieser Zeit kommt ein einziger Zug vorbei.
Schließlich erreichen wir eine Abzweigung zum Wald. Mitte April ist es hier schon wunderbar grün, und auch das Wetter ist so mild, dass es fürs T-Shirt reicht. Kein Mensch begegnet uns (die arbeiten ja alle in Genf). Es ist herrlich!
Schließlich verlassen wir den Wald und durchqueren die kleinen Dörfer Juvigny und Crêt. Beide liegen direkt an der Grenze zur Schweiz. Wir hören den Verkehr auf der Landstraße, die hier quasi die Grenze markiert. Heute aber bleiben wir den ganzen Tag in Frankreich.
Der Rückweg führt uns durch die Felder und entlang von Weinbergen. Wir treffen ein paar Pferde auf der Weide – die einzigen Lebewesen, die uns seit Verlassen des Stadtgebiets begegnet sind (abgesehen von ein paar Vögeln und Insekten natürlich).
„Langweilig“, könnte man sagen. Aber für Silas und mich ist es an diesem Tag genau das, was wir brauchen.
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