Auf unseren Reisen nutzen wir sehr gerne die Möglichkeit des Couchsurfing. Was das ist? „Da besucht man Freunde, die man vorher noch nicht kannte“, lautete einmal Silas‘ Erklärung auf diese Frage. Wer mehr wissen will, klickt hier. Wer sich nicht vorstellen kann, dass das mit Kindern funktioniert, sollte hier weiterlesen. Und wer von einer richtig, richtig großartigen Familien-Couchsurfing-Erfahrung in Wales lesen will, bitte schön:
Aus meinem Reisetagebuch 2013:
Das Dumme am Führen eines Reisetagebuchs ist, dass man während des Schreibens so viel verpasst. Jede Minute, die ich Geheim-Hieroglyphen in mein Notizbüchlein kritzele, geht mir ab vom intensiven Erlebnis unserer Reise. Es lohnt sich, klar, denn damit lege ich die Grundlage, um mich an all das Erlebte auch in 20 Jahren noch erinnern zu können. Und meistens balanciere ich das Büchlein auf den Knien, wenn wir eh im Auto sitzen, ich die Kinder beim Zähneputzen überwache oder wir irgendwo sonst ohnehin Wartezeit überbrücken müssen. Schwierig wird es beim Couchsurfen, wenn alles einfach so perfekt ist wie bei unseren letzten Hosts in Bangor. Die Begegnung mit Sharon, Vikram, Ella und Jakey habe ich so genossen, dass ich zwei komplette Tage lang kein Wort aufgeschrieben, stattdessen jede Sekunde in vollen Zügen ausgekostet habe.
Jetzt habe ich die Bescherung: Ich muss alles nachtragen und kann mich dabei nur auf einsilbige Stichwörter stützen, die ich zwei Tage später am Strand aufgeschrieben habe. Und auf meine Erinnerung natürlich, denn in diesem Fall ist die durchaus lebendig. Aber von vorne…
Entgegen der normalen Couchsurfing-Gepflogenheiten hatten unsere Gastgeber uns ihre Adresse im Vorfeld nicht genannt. „Das findet ihr sowieso nicht“, hatte Sharon geschrieben und uns stattdessen zum Torbogen der alten Burg außerhalb des walisischen Küstenstädtchens Bangor bestellt. Von dort aus rufen wir sie auf dem Handy an, und zehn Minuten später kommt sie in einem dieser Hausfrauen-Panzer angebraust, die sich trotz ökologischer Unsinnigkeit auch auf der Insel zunehmender Beliebtheit zu erfreuen scheinen. Schon die Begrüßung ist herzlich: Sharon schenkt den Kindern ein strahlendes Lächeln, dann schließt sie mich in die Arme und riecht dabei nach frisch gewaschenen Laken, Küche und Blumenerde. Nach zu Hause. Mehr brauche ich gar nicht, um zu wissen, dass die kommenden zwei Tage großartig werden.
Der Weg zum Haus der Familie ist in der Tat verschlungen. Immer höher hinauf geht es. Am Schluss fahren wir über Schotterpisten, müssen zwei Schafgatter öffnen und hinter uns wieder schließen. Dann stehen wir vor dem kleinen Anwesen, das man hübsch nennen könnte, hätte man sich bei der letzten Renovierung der Fassade für etwas anderes als Waschbeton entschieden. Ohne jede Frage umwerfend aber ist der Ausblick auf die unter uns liegende Stadt, die Burg, das Meer und die Schafe.
Drinnen begrüßen wir Sharons Mann Vikram, der aus Indien nach Großbritannien gekommen ist, um als Mediziner zu arbeiten. Auch Ella (8) und Jake (3) lernen wir kennen. Zwei große Jungs gehören noch dazu, aber Liam ist mit seinem Kumpel übers Wochenende weggefahren und Euan ist gerade auf Schüleraustausch in Frankreich. Das trifft sich prima, denn so dürfen wir ins top gestylete Teenager-Zimmer einziehen. Unsere Jungs bekommen Ellas Zimmer. „Das ist okay, ich schlafe gerne mal bei Mama und Papa“, versichert uns die Kleine. Getrennte Schlafzimmer, welch unerwarteter Luxus!
Überhaupt ist dieses Haus großzügig gestaltet, was Anzahl, Größe und Einrichtung der Zimmer angeht. Vikram hat eine gute Position in seinem Job. Für uns ist es ein angenehmes Gefühl, ohne schlechtes Gewissen zugreifen zu können, als die beiden uns Tee und Törtchen vom örtlichen Szene-Bäcker anbieten. Viel später erzählt mir Sharon, dass sogar William und Kate mal ein Auge auf das Haus geworfen hatten. Da aber hinten am Küchenfenster ein öffentlicher Fußweg entlangführt, war der königliche Sicherheitsdienst nicht überzeugt. Deshalb wohnen die Royals jetzt auf Anglesey, der großen Insel, die wir vom Wohnzimmerfenster aus sehen können. „Zum Glück“, sagt Sharon und lacht. Sie liebt ihr neues Zuhause und hat es mit viel Hingabe eingerichtet. Vor drei Jahren ist die Familie aus den Midlands hierher gezogen, Viks Arbeit wegen. Anfangs war Sharon nicht begeistert, erzählt sie. In Birmingham hatte sie ein Café und einen kleinen Laden. Aber da Jake unterwegs war, war die Zeit für Veränderungen ohnehin gekommen. „Jetzt bin ich erstmal Hausfrau und Mutter, und das macht auch Spaß“, sagt sie. Über kurz oder lang will sie sich aber doch wieder eine berufliche Herausforderung suchen. Das ist auch nötig, denn Sharon sprüht vor Energie. Bis auf weiteres verwendet sie die für diverse Wohltätigkeitsprojekte. Neuerdings kommen auch Couchsurfer in den Genuss – für uns ein großes Glück.
Wir stehen in der heimeligen Küche, jeder im Besitz einer unvermeidlichen Tasse Tee. Der Steinfußboden des alten Cottages ist mit Flickenteppichen bedeckt. Sharon brutzelt nebenbei eine Nudelpfanne. Vikram und ich erledigen den Abwasch, der von der Lunch-Einladung für Viks Kollegen heute Mittag geblieben ist. Wir lachen ausgelassen und erzählen, und immer wieder ruft einer von uns: „Ja, genau!“ Obwohl sich unsere Lebenswelten doch beträchtlich unterscheiden, schwimmen wir schlicht auf derselben Wellenlinie. Auch die Kinder haben oben in den Legokisten einen gemeinsamen Nenner gefunden.
Abends sitzen wir bis spät im Wohnzimmer, erzählen uns unsere Lebensgeschichten, diskutieren über EU-Politik und Kochrezepte, Kindererziehung und den Sinn des Lebens. Ich bin so dankbar, hier zu sein und diese Menschen getroffen zu haben. Am liebsten würde ich schlichtweg hier einziehen.
Diesen Eintrag meines Reise-Tagebuchs habe ich am 26. August 2013 verfasst.
Am nächsten Tag haben wir gemeinsam noch eine Expedition zu den Aber Falls unternommen und die weltbesten Scones am Bangor Pier gegessen. Nach zwei wundervollen gemeinsamen Tagen zogen wir schweren Herzens weiter – um nach der allerbesten gleich die aller-abenteuerlichste Erfahrung unserer bisherigen Couchsurfing-Karriere zu machen…
Puuuh, ein Reisetagebuch habe ich glaube ich das letzte Mal äääh 2002? geschrieben ;). Ich bin ein hoffnungsloser Fall was Tagebücher angeht. Aber wofür hat man nen Blog? Das mit dem Couchsurfen hört sich echt spannend an. Cool eigentlich, wenn die Gastfamilien auch Kinder haben und bestenfalls sogar Freundschaften entstehen. Ich sollte mal über ne neue Reisealternative nachdenken. GlG, Nadine
Das Reisetagebuch ist für mich die Vorarbeit zum Blog. Das Gute daran ist, dass ich unmittelbar alle Sinneseindrücke dokumentiere. Aber gleich druckreif – oder „blogreif“ – würde ich nicht schreiben wollen, das kostet mir zu viel wertvolle Urlaubszeit. Wann schreibst du denn deine Texte?