Von Hamburg nach Amerika sind es nur wenige Schritte. Die Alpen lassen sich bequem über ein paar Treppenstufen besteigen. Und von dort aus ist es ein Katzensprung bis in den hohen Norden Skandinaviens. Wenn die Welt auf den Modellbau-Maßstab H0 schrumpft, lässt sich der Round-the-World-Trip an einem Vormittag erledigen. Wir haben uns mit unseren Kindern etwas mehr Zeit genommen für das Miniaturwunderland in Hamburgs Speicherstadt – und trotzdem garantiert nicht alles gesehen. Hier kommt unser Erfahrungsbericht vom Familienausflug ins MiWuLa.
Zeitfenster-Tickets und ihre Tücken
Früh auf der Matte stehen, möglichst nicht am Wochenende! – Das war der eindringliche Tipp, den wir immer wieder gehört haben. Seit das MiWuLa Zeitfenster-Tickets eingeführt hat, ist das Gedränge zwar nicht mehr so übel, wie es vor Jahren wohl gewesen sein muss. Trotzdem eignet sich ein schulfreier Freitagmorgen perfekt für eine Passiv-Weltreise en miniature.
Im Internet haben wir das allererste Zeitfenster gebucht: gleich morgens um halb zehn. (Update 2022: Inzwischen sind die Öffnungszeiten ausgeweitet. Je nach Jahreszeit geht es schon morgens um sieben, spätestens um halb neun ins MiWuLa. Phasenweise hat der Laden im Sommer sogar rund um die Uhr geöffnet.) Pünktlich um sieben verlassen wir das Haus und brausen auf der Autobahn gen Norden – bis uns eine Vollsperrung böse ausbremst. Nach kurzer Zeit ist klar: Bis spätestens halb elf schaffen wir das nicht. Jeweils eine Stunde lang gewährt das Ticket-System Einlass, danach verfällt die Karte. Sie kann im Vorfeld übers Internet beliebig oft umgebucht werden. Aber hier im Nirgendwo hat mein Handy kein Internet.
Zum Glück steht eine Telefonnummer auf dem Ticket. Ein sehr freundlicher junger Mann beruhigt mich: Wir dürfen kommen, wann immer wir es schaffen. Er schreibt sich unseren Namen auf, und sie Sache ist geritzt.
Parken am MiWuLa
Als wir es endlich in die Speicherstadt geschafft haben, läuft alles wie am Schnürchen. Wir bekommen einen Parkplatz direkt vor der Haustür am Kehrwieder. (Update 2021: 2,50 Euro pro Stunde, maximal 15 Euro pro Tag – für Hamburger Verhältnisse ist das sehr günstig.)
Das Gebäude mit dem MiWuLa-Schild am Eingang wirkt nicht sehr einladend, und einen Augenblick fragen wir uns, ob wir hier wirklich richtig sind. Dann aber findet Janis die Pfeile. Wir steigen ein paar Treppen hinauf, durchqueren einen Flur und haben es schließlich in den Eingangsbereich der weltweit größten Modellbahnanlage geschafft. (Update: Das sieht mittlerweile alles anders aus…) Obwohl der Vormittag mittlerweile fortgeschrittenen ist, ist die Schlange kurz. Wie versprochen haben wir keine Probleme am Einlass. Wir packen Jacken und Rucksack in ein Schließfach, eisen die Jungs von taktisch klug platzierten Shop-Angeboten los und betreten ein Wunderland, das seinen Namen verdient.
Deutsche Geschichte im MiWuLa
Die ersten Vitrinen ziehen uns magisch an. Es sind die, die sich nachher als „Peanuts“ herausstellen. – Allerdings nur für die, die Superlative am Materialverbrauch messen. Auf je einem Quadratmeter erleben wir hier deutsche Geschichte von der Steinzeit bis in die Gegenwart.
„Da sind Jäger und Sammler!“, ruft Janis entzückt.
Nur einen Schritt weiter hat sich das Nomadenlager bereits zu einer Siedlung aus Holzhütten weiterentwickelt.
„Ah, guck, jetzt haben sie einen Hafen gebaut!“, entdeckt Silas sofort.
Den dazugehörigen Überblick über die jeweiligen Epochen deutscher Kulturgeschichte gibt es über Kopfhörer. Der Audioguide ist verständlich erzählt und nimmt immer Bezug auf das, was zu sehen ist. Alleine in diesem Teil der Ausstellung könnten wir den ganzen Tag verbringen.
Durch das Mittelalter und die Renaissance arbeiten wir uns in die Neuzeit vor. Kirche, Burg und Stadtmauer entstehen und verändern sich im Laufe der Zeit. Wir entdecken Martin Luther, der seine Thesen an die Kirchentür nagelt und damit ein Zeitalter der Religionskriege erweckt. Auf der Burg lösen Musketiere die Ritter ab und weichen Burschenschaften. Dann übernimmt die Hitlerjugend, darauf ein Lazarett im zweiten Weltkrieg und schließlich Touristen. Fabriken entstehen und verändern sich. Auch vorm Rathaus herrscht immer ein reger Wandel.
„Sah das wirklich sooo schlimm aus, hinterher?“, fragt Janis betroffen, als wir an die Nachkriegs-Vitrine herantreten und all die zerbombten Häuser betrachten. Auch hier überwältigt uns die Liebe zum Detail, die bis hin zu den Vermisstengesuchen an den Hauswänden reicht. Ich bin so bewegt, dass ich die Tränen zurückblinzeln muss.
Es sind nur kleine Plastikfiguren, aber sie verkörpern den Lauf der Geschichte perfekt.
Einen besonderen Reiz machen für uns die Dioramen der geteilten Stadt aus. Denn dass Papa „mitten in Deutschland“ in einem anderen Land aufgewachsen ist, das es heute nicht mehr gibt, stellt für die Jungs immer noch ein Mysterium dar. Als wir die Wiedervereinigung durchlebt haben und endlich in der gegenwärtigen Moderne angekommen sind, hat sich das Eintrittsgeld für uns gefühlt bereits voll rentiert.
Züge, Schiffe, Autobahnen
„Was machen wir jetzt?“, fragt Silas und will schon den Weg zum Ausgang einschlagen.
„Jetzt gucken wir uns das richtige Miniaturwunderland an“, sagt Martin, und beide Jungs bekommen große Augen.
Dass das bisherige Erlebnis nur der Vorgeschmack war, begreifen sie erst, als wir schließlich vor den wahrhaft riesigen Modellbauanlagen stehen. Inzwischen ist es voll geworden. Wir beschließen, mit dem Rundgang ganz hinten in Skandinavien zu beginnen.
Es ist schwer, dort anzukommen, ohne sich von den Wundern auf dem Weg dorthin ablenken zu lassen. Aber der Plan geht auf. Hier haben wir freie Sicht auf Lapplands Eisenerzmiene in Kiruna. Ein schwedisches Winterwunderland breitet sich vor uns aus. Und da ist Pippi Langstrumpf vor der Villa Kunterbunt!
„Ah, da sind ja auch die Züge!“, fällt unserem kleinen Eisenbahn-Freak auf, der sie bisher nicht mal vermisst hat.
Und wirklich, hier ist alles in Bewegung. Die kleinen Züge wuseln über die Platte, die fast den gesamten Speicherboden einnimmt. Auch kleine Autos fahren scheinbar völlig selbstständig. Ein paar Meter weiter tuckert die AIDA majestätisch durch den Oslo-Fjord.
Miniaturwunderland aus Kindersicht
Nun gibt es für die Jungs kein Halten mehr. Aufgeregt stürzen sie von Geländer zu Geländer. Auf Knopfdruck setzen sie die Schiffschleuse, den tanzenden Troll und das Bergwerk in Bewegung.
„Mama, boah, guck mal hier! Hast du die Feen gesehen? Und guck mal, Mama, guck mal, was passiert, wenn ich hier drücke! Und Mama, guck mal hier!“ Ihre Stimmen überschlagen sich vor Begeisterung.
Die Kinder sind klein genug, um auch die vielen Überraschungs-Ansichten „unter Tage“ zu entdecken. Atlantis beispielsweise, das offenbar nicht weit von der Öresund-Brücke entfernt versunken ist. Auch die überirdischen Dinge haben sie aber gut im Blick. Denn extra für die Kleinen gibt es überall Trittbänke.
„Da waren wir schon, Mama! Mama! Da waren wir schon, da kann ich mich noch dran erinnern! Genau da hab ich gesessen und hab mir das Bild von dem Boot angeguckt!“ Janis hat die Darstellung der bronzezeitlichen Felsritzungen von Tanum entdeckt. Als wir dort waren, haben wir zwar weder eine Fee noch ein Einhorn gesehen. Aber es ist unverkennbar derselbe Ort.
Essen im MiWuLa
Knurrende Mägen machen uns darauf aufmerksam, dass die Mittagszeit schon fast vorbei ist. Das Bistro überrascht uns mit einem breitgefächerten Angebot. Über Pommes und Chicken Nuggets geht es weit hinaus. Für einen fairen Preis bekomme ich ein Kartoffelgratin mit knackigem Gemüse, von dem ich gut satt werde. Die Jungs sind mit ihren Nudeln mit Tomatensoße ebenfalls vollauf zufrieden. Das Essen „im Zug“ ist für sie ein besonderes Erlebnis.
Und immer wieder fällt mir auf: Das Personal ist so freundlich! Service wird im ganzen MiWuLa groß geschrieben. Es gibt auch abschließbare Akku-Ladestationen fürs Handy.
Keimzelle Knuffingen
Weiter geht die Entdeckertour. Was wir an den insgesamt acht großen Anlagen alles zu sehen kriegen, spottet jeder Beschreibung. Mit Knuffingen fing alles an. Das war im Jahr 2000. In der Fantasie-Stadt tobt – wie überall – das pralle Leben. Feuerwehren rasen zum Einsatzort. Ein Wohnhaus steht in Flammen! Im Biergarten prostet man sich währenddessen unbeeindruckt zu.
Am Knuffingen Airport erheben sich Flieger. Gestützt von Metallstangen steigen sie in die Lüfte. Mit lautem „Motorengeknatter“ verschwinden sie schließlich hinter einem „Wolken“vorhang. Janis fasziniert das Geschehen so sehr, dass er eine geschlagene Stunde vor der Start- und Landebahn campiert. Er lacht sich kringelig, als plötzlich eine Riesenhummel in Landeanflug geht.
Bergwelt und Großstadt-Flair
Nun geht es in die Schweiz. Die Alpen sind mehrgeschossig. Auch hier gibt es wahnsinnig viel zu entdecken. Da tuckert der Glacier-Express. Dort fährt die Seilbahn. Hier grasen Kühe auf der Alm. – Eine von ihnen ist lila. Unter eine Prozession von Nonnen haben sich Pinguine gemischt. Und als ich in eine unscheinbare kleine Höhle linse, leuchtet mir ein Drachenauge entgegen.
In Mitteldeutschland kugeln sich die Jungs über das Mini-Kind, das aus dem Häuschen mit dem Herzchen an der Tür tritt und versehentlich eine Rolle Klopapier hinter sich herzieht. Dem Mini-Papa sieht man an, dass ihm die Sache unheimlich peinlich ist.
Die größte Dichte der skurrilen Geschichten bieten die Bürofenster der Elbphilharmonie. Auf dem Hamburg-Panel ist sie schon fix und fertig aufgebaut. Ganz oben vergnügt sich die Geschäftsführerin mit dem Personalchef. (So interpretiere ich das mal, um nicht das leidige Sekretärinnen-Klischee bedienen zu müssen.) Nebenan feiern zweifelhaft kostümierte Gestalten eine Fetisch-Party. (Das passiert praktischerweise so weit oben, dass uns ein „Was machen die da?“ von der Fußbank-Fraktion erspart bleibt.) Ein Angestellter lebt einen Anfall von Zerstörungswut an seinem Rechner aus., Eine Dame hat eine wilde Auseinandersetzung mit dem Kaffeeautomaten.
„Warum sitzt der denn da mit dem nackigen Hintern auf dem Kopierer?“, kräht Silas plötzlich.
Oh, so ganz ohne Erklärungen kommt man dann doch nicht aus.
Tag und Nacht
Alle 15 Minuten setzt die Dämmerung ein. Dann verwandelt sich das MiWuLa in ein Lichtermeer. Ein besonders beeindruckendes Schauspiel ist das in Las Vegas. Hier kleben die Jungs vor der Szene mit der Schießerei – bis sie die Aliens von Area 51 entdecken.
So geht es weiter, von einer Sensation zur nächsten. Immer wieder stolpern wir über überraschende Aussichten, die uns zum Lachen bringen.
Als Janis kurz vor Toresschluss ziemlich erledigt in einen der Zugsitze sinkt, verkündet er gähnend: „Das war schon ein ziemlich cooles Weihnachtsgeschenk, Mama. Ich glaub, das wünsche ich mir nächstes Jahr wieder.“
Besucher-Infos zum Miniaturwunderland
Das Miniaturwunderland liegt am Kehrwieder 2 in Hamburg. Die Öffnungszeiten variieren täglich und dann auch noch nach Jahreszeit. Da sich ohnehin die Buchung der Zeitfenstertickets empfiehlt, sind Online-Tickets absolut ratsam.
Familientickets gibt es nicht. Erwachsene zahlen 20 Euro, Kinder unter 16 zahlen 12,50 Euro. (Update: Die Preise haben sich seit damals ziemlich genau verdoppelt. Das gilt aber wohl auch für das, was Besuchende im Inneren zu sehen bekommen.) Wer kleiner als einen Meter misst und seine Eltern dabei hat, braucht nichts bezahlen.
Wichtig: Für Babys Tragetuch mitnehmen – Kinderwagen sind immer im Weg!
44 Parkplätze sind direkt vor der Tür zu haben. Wer keinen mehr abkriegt, muss in eins der nahegelegenen Parkhäuser ausweichen.
Mehr über Hamburg mit Kindern
Was wir in Hamburg damals sonst so getrieben haben, hat Silas hier in eigenen Worten erzählt:
Hamburg aus Kindersicht: Ein ziemlich cooler Städtetrip
Einen weiteren Erfahrungsbericht habe ich über den Dialog im Dunkeln verfasst:
Hamburg: Familienausflug zum Dialog im Dunkeln
Und 2022 waren wir mit den inzwischen ziemlich großen Jungs und einem Kleinkind noch einmal in Hamburg:
Hamburg mit Kindern: Speicherstadt und HafenCity
Hamburg Low Budget: Sehenswürdigkeiten mit Kindern
All unsere – mittlerweile fast 200 – Erfahrungsberichte aus erster Hand habe ich in diesem Beitrag aufgelistet, in dem es auch eine Kartenansicht gibt:
Familienurlaub in Deutschland: Unsere geballten Tipps
Transparenz-Hinweis: 2014 waren wir komplett auf eigene Faust unterwegs. 2021 habe ich den Artikel wieder ausgegraben und ein bisschen aktualisiert. Mein Reiseblog ist teilweise monetarisiert und ich arbeite immer mal wieder mit Tourismus-Institutionen zusammen. Dieser Beitrag ist aber nach wie vor allein auf meine Veranlassung passiert.
Wow! Seit 10 Jahren lebe ich in HH und war noch nie im Miniaturwunderland. Nach diesem spannenden Bericht muss ich jetzt unbedingt bald hin!
WAS?! Aber ganz schnell! ;) Lohnt sich wirklich massiv.
Jetzt haben wir schon 2 gemeinsame SEHENswürdigkeiten (Planetarium Jena + Miniaturwunderland Hamburg). Mal schauen, was als nächstes kommt. Weiter so, wir sind gespannt.
Danke! Wie wäre es mit der FÜHLENSwürdigkeit „Dialog im Dunkeln“, ebenfalls in der Speicherstadt? Aber das dauert noch ein bisschen, bis der Text kommt – schließlich will ich euch nicht mit zu viel Hamburg überfüttern. :)