„phæno“ lautet der offizielle Eigenname der – unserer Meinung nach – herausragendsten Attraktion in Wolfsburg. Besucher jeden Alters tauchen hier ein in die Welt der Naturwissenschaften. Die ist keineswegs trocken, steif und ungemütlich. Im Gegenteil! Vom Kleinkind bis zum Teenager erleben Kinder und ihre Eltern Faszinierendes und Großartiges im Phaeno. Das wissen wir so genau, weil wir es selbst ausprobiert haben! Hier kommt unser Erfahrungsbericht aus Wolfsburg.
Vom Machen zum Begreifen
Silas kurbelt wie ein Weltmeister. Dass das schwarze Kurbelrad an der übergroßen weißen Metallkonstruktion genau dafür gemacht ist, steht außer Frage. Das Ding ist zum Kurbeln da, und der Teenager kurbelt. Gespannt beobachten wir alle vier, was dabei passiert. Ein Hebemechanismus lädt automatisch Kugeln auf und transportiert sie mehrere Meter in die Höhe. Unter Silas‘ fleißigen Drehbewegungen gabelt der Kugelfahrstuhl einen runden Fahrgast nach dem anderen auf. In regelmäßigen Abständen ploppen sie in einen Plexiglastrichter. Dort ordnen sie sich ein und kullern dann auf verschlungenen Wegen quer durch die Installation. Nach weniger als zwei Minuten liegt die einzelne Kugel wieder hinten in der Schlange, deren vorderstes Mitglied in den Hebemechanismus geschoben wird.
Nach einer kurzen Weile rückt Franka um das Ausstellungsstück herum. Sie greift nach einer zweiten Kurbel. Uns Erwachsenen fällt jetzt erst auf: Da ist ja noch mehr! Während nun beide Kinder fleißig kurbeln, weiten wir den Blick. Wir bemerken, dass Frankas Bahn und auch noch mindestens eine weitere existieren, aber überhaupt nicht mit Kugeln bestückt sind.
„Ich will auch Bälle kurbeln!“, fordert das Kleinkind.
Martin und ich verfolgen die einzelnen Bahnen mit den Augen. Schließlich entdecken wir unscheinbare Griffe. Ziehen wir daran, stellen wir über Seilzüge Weichen der Murmelbahn. So können wir die Wege der Kugeln verändern. Nach und nach begreifen wir, was wir hier überhaupt machen…
Unser Familien-Trip nach Wolfsburg
Zunächst muss ich zugeben: Wir geraten nicht zufällig mit Kleinkind und Teenager ins Phaeno. Unsere Reise nach Wolfsburg geschieht im Auftrag des Marketing-Verbunds about cities. Für dessen Blog schreibe ich einen (bezahlten) Artikel über Wolfsburg für Familien.
Hier in meinem eigenen Blog möchte ich ebenfalls über unsere Erfahrungen berichten: ausführlicher und differenzierter. Das ganze Drumherum und viele weitere Tipps für Wolfsburg mit Kindern stecken schon in diesem Beitrag:
Wolfsburg mit Kindern: Ausflug in die Erlebnisstadt
Der, die oder das Phaeno?
Grammatikfragen bei Eigennamen haben für mich ein hohes Stress-Potenzial. (Das betrifft nicht nur Ausflugsziele, sondern ganze Länder, Stichwort Kosovo.) Ich muss das immer einmal für mich klarkriegen.
Die Eigenschreibweise mit dem skandinavischen æ gilt wohl als stylish. Ich lasse sie weg. Die Phaeno-Website selbst macht das an vielen Stellen genauso. (Das macht auch allein schon Sinn, weil schließlich niemand das Sonderzeichen bei der Internetsuche verwendet). Auch bei der Wahl des Artikels orientiere ich mich an der Homepage des Ausflugsziels. Intuitiv hätte ich „die Phaeno“ gesagt – wohl weil es für „die Erlebnisausstellung“ oder „die Experimentierlandschaft“ stünde, beides Eigenbezeichnungen. Die Internetseite hat zwar kein offizielles Statement dazu. Aber an mehreren Stellen ist von Dingen „im Phaeno“ die Rede. Also heißt es wohl „das Phaeno“.
Was ist das Phaeno überhaupt?
Die Kategorie der Stunde nennt sich Science Center. Offenbar hat man sich geeinigt, dass so diese moderne Art von Museum mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt bezeichnet wird. Hier ist Anfassen nicht nur erlaubt, sondern erforderlich. Auch als naturwissenschaftliche Mitmach-Ausstellung oder Experimentier-Museum ließe sich das Phaeno charakterisieren.
Welt- und auch deutschlandweit gibt es mittlerweile so viele von der Sorte, dass sich die Benennung der Kategorie lohnt (siehe unten). Das Phaeno kann innerhalb dieser Schublade aber mit manchem Superlativ trumpfen. 350 verschiedene Stationen sind hier ausgestellt. Die Fläche beträgt 9000 Quadratmeter.
Der massive Betonbau wurde von der irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid entworfen. Das wuchtige und zugleich zu schweben scheinende Ausstellungshaus ist gleich schon die erste Attraktion in sich.
Naturwissenschaften zum Anfassen
Unseren Buggy können wir problemlos mit in die Ausstellung nehmen. Oben steigen wir aus dem Fahrstuhl und sind sofort mittendrin. Die komplette Experimentierlandschaft wartet auf uns. Überall können wir zuschauen. Bei den meisten Stationen dürfen wir sogar selbst tätig werden.
Gegliedert ist die Ausstellung in sechs Unterbereiche: Leben, Sehen, Energie, Dynamik, Spürsinn und Mathe. Eine vorgeschriebene Reihenfolge gibt es nicht.
Wir landen zuerst im mathematischen Bereich. Silas stürzt sich auf die erstbeste Installation. Er setzt zwei eckige Zahnräder in Gang, die flüssig ineinandergreifen. Als seine kleine Schwester begeistert übernimmt, beobachtet der Teenager das Geschehen unter der Glaskuppel konzentriert.
„Wenn wir früher in solchen Museen waren, fand ich das immer toll, das alles auszuprobieren“, sinniert er. „Da war so etwas wie das hier erstaunlich. Aber inzwischen verstehe ich bei einigem auch die Mathematik dahinter und weiß, wieso es funktioniert. Das ist voll cool!“
Lernen und verstehen
Für solche Aha-Momente bietet das Phaeno jede Menge Gelegenheit. Nach Herzenslust können wir Dinge ausprobieren, wiederholen, experimentieren. Bestimmt zehn Mal starten Franka und ich den „Zufallsgenerator“, in dem viele kleine Metallkugeln in einer Kaskade immer wieder entweder nach links oder nach rechts rollen. Am Ende präsentieren sie uns grundsätzlich eine Gauß’sche Normalverteilung. Klar: Dem Kleinkind gefällt dabei vor allem das Prasseln der Kugeln. Ich nehme ganz andere Denkanreize daraus mit. So ist das bei den meisten Stationen. Und das finde ich großartig!
Toll ist die immense Bandbreite der Angebote. Da sind die eher klassischen Experimente, die mich an meinen Physikunterricht erinnern. Dann gibt es viele Stationen, die zum Quatschmachen einladen und vor allem Spaß bringen. So ist das zum Beispiel bei der Kamera, die uns beim Steigen durch einen Reifen aufnimmt und verzerrte „Flugfotos“ von uns an die Wand projiziert.
Und dann sind da auch ganz ernsthafte Dinge, die den Klimawandel oder auch die Endlichkeit des Lebens aufgreifen. In einem Glaskasten verwest „live“ ein Igel. Glücklicherweise geruchssicher abgeschirmt können wir die Insekten beobachten, die sich um den Abbau des Aases kümmern. Ein Bildschirm zeigt uns die Vorgänge noch einmal im Zeitraffer.
Immer können wir erfahren, wie alles funktioniert. Kurze Fragen geben uns Impulse zum Nachdenken. Weiterhin gibt es zu jeder Station erklärende Texte. Wer noch mehr wissen will, darf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter löchern, die immer irgendwo in der Nähe parat stehen.
Wissenschaftliches, „Künstliches“, Kunst
Manches dargestellte Phänomen ist auch hauptsächlich schön. Die symmetrischen Sandbilder der Installation „Sisyphus“ sind so ein Fall. Nicht immer steht die Naturwissenschaft im Mittelpunkt. Häufig dient sie eher der Kunst. Dass die Grenzen da fließend sind, verdeutlicht mir das Phaeno auf wunderbare Weise. Etwa 40 der 350 Erlebnisstationen sind direkt von Künstler:innen gestaltet.
Phaeno mit Teenager
Es ist ja immer so eine Sache, große Kinder zu Familienausflügen zu motivieren. „Muss ich mit?“, ist bei uns die Standardfrage. Im Phaeno Wolfsburg ist solche Lustlosigkeit ganz schnell vergessen. Jedenfalls bei uns war das so. Dabei hatten wir nur den eher sprachlich begabten Sohn dabei, der mit Naturwissenschaften deutlich weniger anfangen kann als sein Bruder. Der war trotz schlimmster Pubertät genauso begeistert wie der Rest der Familie.
Das sagt Silas (14): „Ich fand das Phaeno sehr informativ und höchst interessant. Es hat halt nicht so einen langweiligen Museumscharakter. Sondern dadurch, dass man so viel ausprobieren konnte, hat sich die Informationsvermittlung echt und actionreich angefühlt. Auch für Leute in meinem Alter zu empfehlen! Ich würde sogar sagen, es ist eher was für Teenager als für Kinder. Wenn man schon die eine oder andere Physikstunde gehabt hat, versteht man einfach mehr. Und es macht einfach Spaß!“
Phaeno mit Kleinkind
Ein Mindestalter, ab dem das Phaeno in Wolfsburg empfehlenswert ist, gibt es nicht. Natürlich begreifen die Kleinsten noch nicht so viel von den Hintergründen der Phänomene. Staunen können sie aber mindestens genauso gut wie wir Großen.
Für Franka mit ihren zwei Jahren gibt es eine Menge zu tun. Fasziniert krabbelt sie durch die „Kleinsche Flasche“, in der Inneres und Äußeres unterscheidungslos ineinander übergehen. Besonders gefallen ihr die vielen Murmelbahnen. Unbeaufsichtigt laufen lassen dürfen wir sie freilich nicht. Da könnte sie – ganz abgesehen von Corona-Abstandsregeln – ganz schön Blödsinn machen. Gemeinsam mit ihr die Welt der Phänomene zu entdecken, empfinde ich als echtes Geschenk. Unser Kleinkind stellt viele kluge und auch ein paar lustige Fragen. Alles findet Franka spannend und interessant.
Klar: Kleinkinder brauchen so ein Experimentarium nicht unbedingt. Ein Ausflug in den Park kann für sie genauso spannend und phänomenal sein. Aber wenn das jüngste Familienmitglied „mit muss“, ist das jedenfalls keine Strafe! Für Franka war der Ausflug super.
Im Übrigen ist kein Alibi-Kind nötig, um sich das Phaeno anzuschauen! Auch Erwachsene ohne Kinder werden in der Ausstellung ganz bestimmt Spaß haben. Ohne Kleinkind ist es für sie selbstredend entspannter und wahrscheinlich lehrreicher. Andererseits brauchen Eltern, die in Wolfsburg sind und sich das Phaeno gerne mal anschauen möchten, entschieden nicht darauf verzichten, nur weil das Kind noch so klein ist.
Unser Fazit zum Phaeno mit Kleinkind und Teenager
„Eigentlich könnte man jedes zweite Wochenende herkommen und sich jedes Mal einen anderen Bereich vornehmen“, schwärmt Martin. Der Maschinenbau-Ingenieur ist hier wahrlich im Siebten Himmel. „Und wenn man hinten fertig ist, kann man vorne wieder anfangen. Weil die Kinder älter geworden sind und die Dinge schon wieder ganz anders verstehen.“
Ja. Wenn wir in Wolfsburg mit Kindern wohnen würden, hätten wir ganz sicher Jahreskarten fürs Phaeno!
Begeisterungs-Disclaimer
Wir sind also ziemlich begeistert vom Phaeno. Dabei habe ich den Anspruch, hier in meinem Familien-Reiseblog ausgewogen und differenziert zu berichten. Aber was soll man machen, wenn man von vorne bis hinten zufrieden ist? Verkrampft Haare in der Suppe suchen?
Die gibt es bestimmt. Wir verbringen nur einen einzigen Vormittag in der Ausstellung, rund drei Stunden. Für eine abschließende Meinung ist das gewiss ein bisschen wenig. Und es ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Dank Corona und bestem Sommerwetter ist kaum etwas los. Müssten wir an jeder Station anstehen, würden mich Mitmenschen durch mangelndes Abstandhalten verärgern, wäre meine Meinung insgesamt bestimmt getrübt.
Ähnlich rundum begeistert von einem Ausflugsziel waren wir zuletzt vom Zoo Hannover, vom Zoo Osnabrück und in ganz besonderem Maße vom Klimahaus in Bremerhaven.
Das Phaeno im Vergleich mit anderen Wissenschaftsmuseen
Im Laufe der Jahre haben wir schon so manche naturwissenschaftliche Ausstellung und manches Museum zum Experimentieren und Anfassen besucht. Da wären zum Beispiel
- die Phänomenta in Bremerhaven
- die Kinderakademie in Fulda
- das AHA-Mitmachmuseum in Wolfenbüttel
- und die Terra phaenomenalis im Mindener Potts Park,
um nur die zu nennen, über die ich auch mal gebloggt habe. Damit, das größte Science Center in Deutschland zu sein, wirbt übrigens die Experimenta in Heilbronn.
Als ich einmal angefangen habe, weitere naturwissenschaftliche Museen zum Anfassen beziehungsweise Ausstellungen der Kategorie Science Center zu googeln, bin ich deutschlandweit auf schier endlose Einträge gestoßen. (Bei Wikipedia gibt es eine Liste mit 27 Einträgen, auf der aber schon die Hälfte derer nicht drauf steht, die ich persönlich kenne. Eine noch kürzere, dafür mit kurzen Charakterisierungen versehene Liste hat der Focus erstellt.)
Das Phaeno beschreibt sich selbst als „einzigartig“. Und das trifft in vielerlei Hinsicht auch zu. Aber eine kurze Einordnung zu eben doch vergleichbaren Angeboten ist für andere Familien vielleicht ganz hilfreich.
Die oben genannten Ausstellungen sind alle viel, viel kleiner. Größer und im weitesten Sinne vergleichbar ist wohl nur das Deutsche Museum in München. Auch dort gibt es ganz viel Naturwissenschaftliches zum Mitmachen und Ausprobieren. Insgesamt überwiegt in München aber eben doch der Eindruck eines klassischen Museums. Ein Science Center in seiner modernen Definition ist das Deutsche Museum nicht. (Aber es ist schon grandios! Unser ausführlicher Erfahrungsbericht steht hier: Praxis-Tipps für das Deutsche Museum mit Kindern .)
Am ehesten vergleichbar ist das Phaeno unserer Erfahrung nach mit dem Universum in Bremen. Das finden wir auch großartig! Mit – laut Wikipedia-Eintrag – rund 300 Exponaten auf etwa 4000 Quadratmetern ist es aber auch kleiner als das Phaeno mit 350 Experimentierstationen auf 9000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Außerdem setzt es spätestens im Bereich „Expedition Kosmos“ andere Schwerpunkte als das Phaeno. Das bleibt thematisch allgemeiner bei den Naturwissenschaften.
Wohin ein Städtetrip mit Familie nun am sinnvollsten ist, um ein gutes Science Center zu besuchen, ist leicht zu beantworten. Bremen, Wolfsburg, München – in der Reihenfolge, um jeweils Platz für Steigerungen zu lassen. Empfehlenswerte Ausflugsziele für Familien sind ganz entschieden alle drei!
Auch die weiter oben genannten Städte eignen sich natürlich wunderbar für Städtetrips mit naturwissenschaftlichem Bildungsprogramm. Wer Naturwissenschaften mit Kindern als rundum familienfreundliches Erlebnis der Superlative zelebrieren will, sollte aber am besten das Phaeno in Wolfsburg ansteuern.
Mehr Reise- und Ausflugstipps in Deutschland
Hier sind noch einmal alle empfehlenswerten Links zum Weiterlesen:
- Wolfsburg mit Kindern: Mit Kleinkind und Teenager in der Erlebnisstadt
- #cities4family: 18 Städtetrips mit Kindern in Niedersachsen
- Kurzurlaub in Deutschland: Die schönsten 20 Städtetrips mit Kindern
- Familienurlaub in Deutschland: Unsere geballten Tipps
Transparenz-Hinweis: Da wir wie gesagt im Zuge einer Auftragsarbeit im Phaeno waren, haben wir den Eintritt nicht selbst bezahlt. Meinem Selbstverständnis als Bloggerin nach macht das keinen Unterschied. Ich finde es aber wichtig, das dazuzusagen.
Kommt doch mal wieder nach Estland, wenn das Leben wieder halbwegs normal ist, in Tartu gibt es Ahhaa- Zentrum – dorthin sind in der vor-Corona-Zeit sogar Schulbusse aus Litauen gekommen.
Das klingt toll! Und nach Estland wollen wir so gerne wieder…