Die innerdeutsche Grenze kennen unsere Kinder nur aus Erzählungen. Selbst wir Eltern erinnern uns kaum daran – schließlich jährt sich der Mauerfall dieser Tage zum 30. Mal. Aber das Thema ist ein wichtiges Stück deutsche Geschichte. Wo könnten wir die unseren Kindern besser vermitteln als direkt vor Ort? Unser Erfahrungsbericht von der Gedenkstätte Point Alpha an der Grenze zwischen Hessen und Thüringen.
Was ist Point Alpha?
Point Alpha – ursprünglich und in den Papieren des Militärs „Observation Post Alpha“ – liegt zwischen der Stadt Geisa in Thüringen und dem hessischen Rasdorf. Nächste größere Stadt ist Fulda.
Hier entlang zog sich die innerdeutsche Grenze und damit der Eiserne Vorhang. „The hottest point of the cold war“, sagt man manchmal. Das stimmt wohl nicht so ganz, denn es gab gewichtigere und kritische Orte. Das sogenannte Fulda Gap war aber durchaus ein realistischer Kandidat für den Aufmarsch der Truppen des Warschauer Paktes, wenn es damals zum Dritten Weltkrieg gekommen wäre.
Heute steht hier das „Haus auf der Grenze“, das eine Ausstellung über die Zeiten des Kalten Krieges beherbergt. Eine weitere Ausstellung gibt es im nahegelegenen US-Camp. Ein kurzer Spazierweg verbindet beide Sehenswürdigkeiten. Unterwegs sind auf dem frei zugänglichen Außengelände die Grenzbefestigungen rekonstruiert.
Point Alpha ist auch eine Station auf dem Fernwanderweg Grünes Band. Wenn ihr euch für den interessiert, findet ihr einen Erfahrungsbericht über die erste Etappe von Geisa nach Vacha über Point Alpha im Reiseblog hierdadort.
Das Haus auf der Grenze
Von der Autobahn kommend stoßen wir auf einen großen kostenlosen Parkplatz. Das auffällige blaue Gebäude steht mitten auf der ehemaligen Grenze. Im Eingangsbereich treffen wir als erstes auf ein Stück Berliner Mauer. Am Ticketschalter erfahren wir, dass unsere Eintrittskarte nicht nur für die Ausstellung auf der thüringischen Seite gilt, sondern auch für das US-Camp im ehemaligen Westen 500 Meter weiter. Hervorragend!
Dann stehen wir auch schon in der Ausstellungshalle. An den Wänden empfangen uns Reproduktionen verschiedenster Dokumente aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs und der Gründungszeit der beiden deutschen Staaten. Bildschirme zeigen bewegte Bilder und eigentlich wohl auch noch jede Menge Hintergrundinformationen. Leider sind die Touchscreens coronabedingt alle gesperrt – ebenso kreativ wie effektiv mit Frischhaltefolie.
Point Alpha Ausstellung mit Kleinkind
Für ein Kleinkind ist die Ausstellung freilich nur mäßig spannend. Interessant findet Franka vor allem die Steine des alten Kolonnenwegs, der mit dem Ausstellungsgebäude einfach überbaut wurde. Leider sitzt sie dort den anderen Besuchenden ziemlich im Weg. So geht leider ein großer Teil meiner Aufmerksamkeit für Lücken-Tango und Baby-Betreuung drauf.
Interaktive Ausstellung mit Teenagern
Unter anderen Umständen hätte ich hier wohl selig kampiert. Die Ausstellung bietet eine große Fülle an Informationen und Aha-Effekten. Während ich neben Franka knie und alle Steine wieder einsammele, bevor andere darüber stolpern, nehme ich hingerissen zur Kenntnis, wie sich unsere Teenager interessiert eigenen Teilthemen widmen. Janis rechnet mit Mauertoten und vergleicht die Dienstanweisungen der Grenzer in Ost und West. Silas verfolgt die Chronologie der Ereignisse, die überhaupt zur militärischen Absicherung der anfangs intern gedachten Grenze geführt haben.
Den Mix aus originalen Dokumenten, Erklärtexten, gesprochenem und geschriebenem Wort, gedruckten und bewegten Bildern finde ich sehr gelungen. Die innerdeutsche Teilung ist ein sehr komplexes Thema und museumspädagogisch weit weniger dankbar als, keine Ahnung, die Geschichte der Meere im Ozeaneum. Hier hat man sich schon ordentlich ins Zeug gelegt, um mit verhältnismäßig einfachen Mitteln und der einen oder anderen pfiffigen Idee eine ansprechende Ausstellung zu konzipieren.
„Haus auf der Grenze“ mit Kindern
Das „Haus auf der Grenze“ ist kein Kindermuseum. Das Thema der innerdeutschen Teilung ist selbst für Erwachsene schwer zu begreifen und zu umfassen. Es gibt sicher Wege, auch schon kleinere Kinder für die Thematik zu sensibilisieren. Aber, ganz ehrlich: Da sind erst einmal andere Dinge wichtiger, finde ich. Dass die Point-Alpha-Ausstellung keine interaktiven Spielstationen oder andere kindgerechten Elemente hat, finde ich deshalb nicht verwerflich.
Natürlich ist es völlig legitim, wenn man sich die Ausstellung als Erwachsene ansehen möchte und die Kinder nun einmal mit müssen, weil man gemeinsam unterwegs ist. Für diesen Fall gibt es einige nette Hingucker im Museum, die auch Kinder eine Weile beschäftigen. Der Grenzer-Trabbi zum Beispiel, das Luftbild der Landschaft, das den gesamten Fußboden eines Ausstellungsbereichs bedeckt. In der zweiten Etage steht auch ein Maltisch.
Die Strategie wäre dann allerdings, mit zwei Erwachsenen in die Ausstellung zu gehen und abwechselnd die Kinder bei Laune zu halten, während der oder die andere sich informiert. Wir haben es, als die Jungs kleiner waren, immer so gehalten, dass einer sich irgendein passendes Ausstellungsstück sucht und anhand dessen Geschichten erzählt, die den Sachverhalt kindgerecht rüberbringen. Das klappt eigentlich immer ganz gut. Aber da muss man sich natürlich drauf einlassen können.
Inhaltlich wirklich mitgehen mit der Ausstellung können Kinder frühestens ab zehn, würde ich sagen, eher ab zwölf Jahren.
Das Freigelände „Mustergrenze“
Zwischen dem „Haus auf der Grenze“ mit dem Parkplatz und dem alten US-Camp verläuft auf gut 500 Metern die Grenze und daran entlang der Fußweg vom einen Museumsteil zum nächsten. Hier sind die Grenzbefestigungen aus den verschiedenen Phasen des Kalten Kriegs rekonstruiert beziehungsweise erhalten. Mehrere Infotafeln beschreiben die Situation in den jeweiligen Jahrzehnten.
Dieser Weg ist frei zugänglich und vermittelt gut, was die innerdeutsche Grenze bedeutete und wie sie sich im Laufe der Zeit wandelte. Wer mit kleineren Kindern unterwegs ist, nur wenig Zeit hat und/oder kein Geld ausgeben möchte, bekommt mit dieser kleinen Freiluft-Ausstellung bereits eine gute Basis-Versorgung.
Außerdem gibt es auch einiges zu gucken. Da ist die simple Schranke aus den 1950er Jahren. Später kommen Zäune, Wachhunde, Mauern, Bunker, Wachtürme dazu.
Der „Weg der Hoffnung“
Wer mag, kann den Spaziergang in beide Richtungen verlängern. Der schnurgerade Wanderweg gehört zum Grünen Band. In Richtung des „Haus an der Grenze“ geht der Kolonnenweg in den „Weg der Hoffnung“ über. Auf 1,4 Kilometern reihen sich hier 14 Kunstwerke aneinander, die sich der Thematik widmen. Wir hatten dafür leider keine Zeit mehr.
US-Camp „Observation Point Alpha“
Etwa 40 US-Soldaten sind an diesem Beobachtungsstützpunkt stationiert gewesen. In Krisenzeiten wurde auf bis zu 200 Mann aufgestockt. Die Baracken sind original erhalten und zum Teil nach einer Zwischennutzung als Flüchtlingsunterkunft in den 90ern in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt worden.
Wir haben bei unserem Besuch leider kaum noch Zeit für diesen Teil des Museums. (Denn wir sind ja auf der Durchreise und dürfen nicht zu spät zum Einchecken in unserer Ferienwohnung im Sauerland ankommen.) Eine echte Meinung darf ich mir deshalb gar nicht darüber anmaßen, weil wir nur noch im Schnell-schnell-Modus durchgelaufen sind.
Offenbar ziehen viele Besuchende diesen Teil des Museums der Ausstellung im „Haus auf der Grenze“ vor. Verständlich, denn hier gibt es mehr zu gucken und weniger schwer verdauliches Geschichtswissen. Wobei, so ganz stimmt das auch nicht, denn in mindestens zwei der alten Baracken sind ebenfalls umfangreiche Ausstellungen untergebracht.
Besucherliebling ist auf jeden Fall der Fuhrpark, den das US-Militär zu Ansichtszwecken zurückgelassen hat. Wir nehmen mehrere Jeeps, Panzer und zwei Hubschrauber in Augenschein. Auch ein Zelt und eine Gulaschkanone sind aufgebaut.
Die eine Ausstellung, die wir schnell noch überfliegen, ist – keine Überraschung – sehr militärlastig. Zu sehen gibt es Uniformen und visualisierte Pläne aus der Schublade für Angriff und Verteidigung.
Unser Fazit zum Point Alpha mit Kindern
Wir haben unseren Ausflug an die ehemalige Grenze als sehr unterhaltsam und vor allem lehrreich erlebt. Jede*r einzelne von uns hat eine Menge Neues gelernt. (Und Franka hat mitten auf der Gedenkplakette direkt auf der ehemaligen Grenze ihre ersten freien Schritte gemacht! Allein deshalb schon wird Point Alpha für uns eine bleibende Erinnerung sein.)
Mit 13 und 16 waren unsere Jungs genau im richtigen Alter, um sich mit der Thematik zu beschäftigen. Der eine hatte schon ein bisschen Vorbildung durch die Schule, der andere nur durch diverse Fernseh-Serien, Museumsbesuche und uns als Eltern.
Es ist möglich, den Ort als Sehenswürdigkeit in einer Stunde abzuhaken. Das wäre aber schade. Wir haben gut zwei Stunden in den beiden Ausstellungsteilen und auf dem Freigelände verbracht und hätten gern ein doppelt so großes Zeitfenster gehabt.
Praktische Informationen zum Besuch von Point Alpha
Die Ausstellungen sind täglich (auch montags!) von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet für Familien (aktualisiert auf 2023) 22 Euro. Einzelne Erwachsene zahlen 8 Euro, Schüler*innen und Student*innen 6 Euro.
Adresse fürs Navi: Platz der Deutschen Einheit 1 in Geisa.
Mehr Informationen, auch ganz viel schon zur Geschichte, gibt es auf der (leider sehr langsamen) Homepage der Point Alpha Stiftung.
Sonst noch
Obwohl wir selbst das Ausflugsziel als Zwischenstopp auf unserer Fahrt von der Rhön ins Sauerland einbauen, passt es leider nicht in meine Reihe der Grünen Pausen. Unter diesem Stichwort sammele ich Orte, die nicht mehr als zehn Kilometer bzw. 15 Minuten Fahrzeit von der nächsten Autobahnauffahrt entfernt sind. Mit 25 Kilometern und 23 Minuten Fahrzeit von der A7-Ausfahrt Hünfeld Schlitz liegt Point Alpha da knapp drüber.
Dafür passt dieser Beitrag hervorragend zu Janetts Blogparade zum Thema Grenzen. Bis zum 4. Oktober sammelt sie auf Teilzeitreisender.de Blogberichte, die sich mit innerdeutschen wie internationalen, physischen wie mentalen Grenzen auseinandersetzen.
Zum Weiterlesen…
… empfehle ich hier im Blog
über die nähere Umgebung unseren Erfahrungsbericht aus Fulda aus dem Jahr 2018:
Über unsere kleine Deutschland-Reise im Sommer 2020:
- Sommer in Deutschland: Unser Urlaub im Corona-Jahr
- Sommerurlaub im Zeichen von Corona: Blogstöckchen reloaded
- Familienurlaub in der Rhön: Wandern mit Kindern
- Erlebnisberg Kappe: Volles Familien-Programm im Sauerland
- MTB Bike Zone Willingen: Mountainbike-Park für Anfänger als Familienaktion
Außerdem kann ich auch einen ganzen Roadtrip durch Thüringen wärmstens empfehlen, der (von Westen kommend) perfekt auch mit einem Ausflug nach Point Alpha beginnen könnte. Weitere Inspirationen bietet dann unser Erfahrungsbericht aus dem Jahr 2021:
Dann kann ich noch viele andere tolle Museen empfehlen:
Insgesamt gibt es hier im family4travel-Blog inzwischen über 200 Erfahrungsberichte über Reise- und Ausflugsziele mit Kindern in Deutschland! Eine Übersicht samt Karte bietet dieser Beitrag:
Familienurlaub in Deutschland: Unsere geballten Tipps
Transparenz-Hinweis: An Point Alpha waren wir spontan und haben unseren Eintritt selbst bezahlt. Unsere Meinung bleibt davon unberührt. ;)
Finde ich toll, dass ihr auch solche Ausflüge macht!
Geschichte ist nichts wovon man Kinder fernhalten sollte oder müsste, ganz im Gegenteil, sie beeinflusst und bildet immer auch einen Teil der eigenen Lebensgeschichte ab. Sicher kann man nie sagen, was man davon wirklich lernt, aber sie hilft uns doch vieles zu verstehen und sichert ist nur, daß derjenige, der sich nicht mit ihr beschäftigt sichert nichts lernt ?
Da hast du recht. :)
Ich bin oft als Kind in den spät 70ern, 80ern mit meinem Opa an die Grenze gefahren, und wenn der Wind aus dem Osten kam, konnten wir manchmal hören wie die Grenzpolizei unser Autokennzeichen über Funk durchgab. Es war für mich damals unfassbar das irgendwo hinter den Bäumen andere Deutsche lebten die nicht rüberkommen durften.
Das Point Alpha Museum hört sich fantastisch an und kommt definitiv auf die Liste für den nächsten Deutschland Besuch. Vielen Dank für deinen wie immer informativen und ehrlichen Beitrag. Doch ein kleiner Lichtblick in der Corona Krise, das ihr neue Ecken in Deutschland besucht. Fahrt doch bitte öfter nach Bayern/ Hessen ?
Danke für deinen spannenden Mini-Zeitzeugenbericht! :) Ich habe mit Geburtsjahrgang 1982 einiges von der Wende, aber praktisch nichts aus der Teilung mitbekommen.
Corona hin oder her, in Deutschland werden wir ganz bestimmt noch viel reisen! Vor allem Hessen kennen wir noch viel zu wenig. Und die ganze Nordhälfte von Bayern eigentlich auch. Ach, eigentlich könnte ich wohl den Rest meines Lebens durch Deutschland reisen, ohne das Gefühl zu kriegen, jetzt wirklich alles gesehen zu haben…
Sehr spannendes Thema. Wir waren da kürzlich auch erst, als wir auf dem Grünen Band unterwegs waren. Hatten zuvor noch nie von Point Alpha gehört.
Ich habe tatsächlich auch erst davon erfahren, als ich auf den Internetseiten des Rhön-Tourismus nach Ausflugszielen recherchiert habe. Vorher kannte ich nur das geteilte Dorf Mödlareuth zwischen Thüringen und Bayern bei Hof und die Gedenkstätte Marienborn bei Helmstedt. Und Checkpoint Charlie in Berlin natürlich. Es gibt bestimmt noch viel mehr davon (hoffentlich).
[…] ist für den nächsten Berlintrip auf jeden Fall vorgemerkt. Lena Marie war mit ihren Kindern am Point Alpha an der ehemalig deutsch-deutschen Grenze zwischen Hessen und Thüringen. Es war spannend das aus den Augen einer deutsch-deutschen Familie zu sehen und ist auf jeden Fall […]
Danke für den interessanten Bericht,dort müssen wir auch mal vorbei. Unsere Kinder lieben auch solche Museen und gerade das Thema steht hier hoch im Kurs bei der 10jährigen, die Kleinste ist jetzt noch nicht so sonderlich interessiert ;-). Und das eure Kleine genau dort zu laufen begonnen hat, lässt es euch immer in besonderer Erinnerung!
LG von dort wo in Deutschland die Sonne zuerst aufgeht
Ina
Ja, die ersten selbstständigen Schritte machen Point Alpha für uns zu etwas ganz Besonderem. :)
Point Alpha steht auch schon ewig auf meiner Bucket-Liste. Nach Deiner Beschreibung hier habe ich jetzt och mehr Lust darauf. Ich hoffe, es klappt in nächster Zeit einmal.