Lange haben wir es vorgehabt, darüber geredet und überlegt, ob wir es unseren Kindern wirklich schon antun können. Jetzt haben wir es endlich gewagt: unsere erste Über-Nacht-Fahrradtour. Und es war großartig!
Janis ist fast neun, Silas gut sechs. Das langt offenbar locker. Die Jungs traten gut in die Pedale. Wir waren kaum langsamer unterwegs als erwachsene Radfahrergruppen. Geärgert haben uns nur die Berge (bzw. die leichten Ansteigungen, für alle südlich der norddeutschen Tiefebene), die wir von zu Hause aus überqueren mussten, bis wir hinter Steinbergen den offiziellen Weserradweg erreichten.
Entlang des großen Flusses ist naturgemäß alles eben. Das Wetter war spitze, die Kinder motiviert, und so bretterten wir den gut ausgebauten Fahrradweg entlang (so schnell man eben brettern kann, wenn auch jede Menge andere Radtouristen unterwegs sind). Die zuverlässig ausgeschilderte Strecke führte zumeist über die alten Treidelpfade direkt am Wasser. Zuweilen ging es auch durch die Feldmark. Nur selten mussten wir für ein kurzes Stückchen an die Straße ausweichen (und ich kann grad nicht mal sagen, ob das dann überhaupt der ausgeschriebene Weg oder Martins eigenmächtige Abkürzung war).
So fuhren wir vorbei an Hessisch Oldendorf und legten nur ein paar kurze Trinkpausen ein, nach denen die Jungs von selbst wieder aufs Rad kletterten. In einer der vielen Schutzhütten aßen wir unser vorbereitetes Picknick und schauten den vorbeifahrenden Schiffen zu. Eine Infotafel schwärmte vom mehr als tausend Jahre alten Kloster Fischbeck, das seit der Reformation als Stift fungiert.
Ohne eine einzige Äußerung des Jammerns erreichten wir Hameln. In Wirklichkeit ist diese Stadt nicht sonderlich weit von unserem Zuhause entfernt: schlappe 34 Kilometer. Für uns Radfahrer fühlte es sich aber durchaus so an, als hätten wir inzwischen etwas geleistet und uns eine ausgiebige Kaffeepause verdient. Wir kehrten ein in den „Kaffeestuben“, einem urigen Café ganz nach meinem Geschmack: viele kleine Räume, museumsreif eingerichtet, hausgemachter Kuchen und nettes Personal. Silas goss seine heiße Schokolade übers Tischtuch, und als er schuldbewusst zur Bedienung schlich, um das Malheur zu beichten, band die routinierte Bedienung ihn auf rührende Weise bei den Aufräumarbeiten mit ein: Er durfte sich dadurch eine neue Schokolade „verdienen“.
Die Schokotorte lieferte genügend Energie, um den zweiten Teil der Reise zu bewältigen. Wir durchquerten die Rattenfängerstadt, wuchteten uns über eine Gleisbrücke und auf einer steilen Holzbrückenkonstruktion über einen Bach. Immer noch ohne jedes Gemotze erreichten wir schon gegen fünf die Pension, die Martin vorher im Internet gebucht hatte. Den ganzen Weserradweg entlang sind immer wieder Pensionen und Gästehäuser ausgeschildert. Wir kamen mit mehreren Radlern ins Gespräch, die erzählten, sie würden sich abends spontan eine Unterkunft suchen, je nach dem, wie weit sie am jeweiligen Tag kämen. In den allermeisten Unterkünften gibt es allerdings nur Doppelzimmer. Und da wir als Ständig-und-viel-Urlauber sehr, ähm, preisbewusst sind, hatte Martin im Vorfeld schon eine Pension mit Vierbettzimmer ausfindig gemacht, die vergleichsweise günstig war und in den einschlägigen Portalen trotzdem gute Bewertungen erhalten hatte. Einziges Manko, das uns nicht weiter belastete: Die Pension Strüver befindet sich kaum 500 Meter in Luftlinie vom Kernkraftwerk Grohnde entfernt. Dort soll es auch ein Besucherzentrum geben, das Martin sich gern angesehen hätte, aber da es sich auf der anderen Seite des Flusses befand, vertagten wir die Angelegenheit (auf das nächste Mal, wenn wir in der Gegend wären – zu einer Anti-Atomkraft-Demo zum Beispiel).
Wir checkten also ein in unserer Unterkunft. So früh am Tage hatten wir gar nicht damit gerechnet, hier zu sein. Unsere Wirtin empfahl uns fürs Abendessen das Grohnder Fährhaus, noch ein paar Kilometer weiter die Weser runter. Hier überquert eine Gierseilfähre den Fluss. Vom Biergarten am Ufer aus sahen wir uns den Betrieb an und aßen nett zu Abend. Die Spezialität des Hauses sind Punten: kleine Brote aus Emmer- und Einkornmehl, den ältesten kultivierten Getreidesorten überhaupt. Diese standen in vielen Variationen zur Auswahl. Meine Punte war beispielsweise mit Grillgemüse belegt und schmeckte hervorragend. Nach dem Essen saßen Martin und ich noch eine ganze Weile bei einem redlich verdienten Bier beisammen und genossen den Ausblick auf die Weser (und die Kraftwerkskuppel). Die Jungs vergnügten sich derweil auf den mannigfaltigen Spielgeräten des Restaurants und ließen mit keiner Regung erkennen, dass sie heute 46 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt hatten.
Am nächsten Morgen regnete es, wie der Wetterbericht schon angedroht hatte. Die Pension war voll mit Radlern, wie wir erst im Frühstücksraum bemerkten, und alle zogen ein langes Gesicht. Wir ließen uns Zeit mit dem Auschecken. Ich spielte noch eine Runde Mensch-ärgere-dich-nicht mit den Jungs (Silas gewann, ich wurde Letzte). Als wir gegen halb elf auf die Räder stiegen, glaubten wir an eine Regenpause. Es fing aber großartigerweise tatsächlich nicht wieder an, oder jedenfalls nicht so ernsthaft wie am Morgen. Wir fuhren in eins durch bis zum Stift Fischbeck. Leider hatten wir nicht bedacht, dass der Pfingstmontag ein Montag ist und das Stift damit geschlossen war. Nach einem kurzen Blick durch die Mauer in den sehenswerten Garten fuhren wir also weiter.
In Großenwieden machten wir unser Mittags-Picknick mit geschmierten Brötchen vom Vortag, welches wir angesichts der drohen schwarz aufziehenden Regenwolken in die Länge zogen. Zu uns kam der Regen nicht, aber es war deutlich zu sehen, dass wir direkt in ein schweres Schauer fahren würden, wenn wir unseren Kurs beibehielten. Regenjacken hatten wir dabei, aber außer dem ernsthaften Hobby-Radfahrer Martin besaß keiner von uns Regenhosen, die den Fahrspaß bei schlechtem Wetter doch deutlich erhöhen. Also entschieden wir uns kurzfristig, die Fähre über die Weser zu nehmen und einen Abstecher nach Hohenrode zu unternehmen.
Hier habe ich als kleines Mädchen viel Zeit auf dem Reiterhof verbracht. So begab ich mich mit den Jungs auf eine Reise in meine Vergangenheit. Wir trafen sogar noch ein Pferd, auf dem ich seinerzeit Reitstunden genommen hatte. Sichtbar gezeichnet von seinem mittlerweile biblischen Alter ließ sich Bronco von mir streicheln. Würdevoll nahm er das vierblättrige Kleeblatt aus dem Garten des Fischbecker Stifts entgegen, das Janis gefunden und mitgenommen hatte. „Damit das alte Pferd wenigstens noch ein bisschen Glück in seinem Leben hat“, erklärte Janis mit einem schüchternen Lächeln, während das Grünzeug mit einem einzigen Haps im Pferdemaul verschwand.
Jenseits der Weser war das Wetter freilich nicht grundlegend anders. Durch unsere lange Pause aber hatte sich der meiste Regen inzwischen verzogen. In Exten sind wir etwas nass gedröppelt worden. In Rinteln fuhren wir durch die Fußgängerzone und über die Weserbrücke. Dann kam das einzige wirklich blöde Stückchen: diese elend lange Steigung ohne Fahrradweg Richtung Steinbergen. Länger hätte die nicht gehen dürfen, denn vor allem Janis verließ hier ernsthaft die Lust. Geschafft haben wir es dann aber doch. Zum Abschluss gab’s kurz vor der Heimat noch einen großen Eisbecher zur Feier des Tages. Zu Hause waren wir dann um halb sechs.
Fazit: 105 km, fast durchgängig fröhliche Kinder. Machen wir wieder!
Diesen Eintrag meines Reise-Tagebuchs habe ich am 21. Mai 2013 verfasst.
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