Die Orkneys, eine Inselgruppe ganz im Norden Schottlands, gelten als Mekka für alle Freunde der Frühgeschichte. Steinkreise und Grabhügel reihen sich hier quasi dicht an dicht, und aktuell graben die Archäologen etwas aus, das möglicherweise eine beeindruckende Tempelanlage gewesen ist. Das allein reicht schon, um die Orkneys für mich zum Traumziel zu machen. Aber die Inseln haben noch einen prähistorischen Superlativ zu bieten, der auch durchschnittlich interessierte Touristen mit Begeisterung für längst vergangene Zeiten infizieren kann: Skara Brae, das Steinzeit-Dorf mit überraschend modernem Komfort.
Um Skara Brae zu erreichen, müssen wir von der Hauptstadt Kirkwall aus die Hauptinsel Mainland einmal komplett durchqueren. 30 Kilometer sind das, mit unserem Mietwagen dauert das eine halbe Stunde.
Ein kleines Museum zum Anfassen
Vor das Steinzeitwunder haben die Verwalter von Historic Scotland Ausstellung und Kassenhäuschen gesetzt. Wie überall begegnen wir auch hier wieder etlichen Busladungen von Menschen auf organisierten Ausflügen, die wie Wellen im Zeitraffer über uns hinweg spülen. „Wenn Sie die Zeit haben, würde ich Ihnen raten, morgen wieder zu kommen“, rät uns der freundliche runde Angestellte am Ticketschalter im nicht ganz leicht verständlichen Orkney-Schottisch. „Heute werden wir den ganzen Nachmittag von Kreuzfahrt-Touristen heimgesucht.“ Ich beuge mich vor, um im Gewusel teurer Outdoor-Jacken nicht schreien zu müssen und gestehe zerknirscht: „Geht leider nicht, wir gehören dazu.“ Wir sehen uns an und lachen. Ich bedauere so sehr, nicht mehr Zeit zu haben, um Land und Leute angemessen kennenlernen zu können.
Bevor es die steinzeitlichen Ruinen zu sehen gibt, führt uns der Weg zuerst in eine kleine Ausstellung. Ein Film fasst die Geschichte der Siedlung zusammen, soweit man sie nachvollziehen kann. Und wir erfahren, was Sara Brae überhaupt ist: Ein Dorf aus der Jungsteinzeit, vor ungefähr 5000 Jahren erbaut. Hier haben also Menschen gelebt, die wussten, was es mit den Steinkreisen auf sich hatte und ob der Tempel am Ness of Brodgar wirklich einer war. Vielleicht waren sie es, die ihn gebaut haben. Ihre Lebensumstände bringt uns das modern gestaltete Museum näher. Die Jungs (und auch wir) dürfen vieles anfassen und ausprobieren.
Am meisten verblüffen mich die Architektur, die die vorgeschichtlichen Dorfbewohner benutzt haben, und die Rückschlüsse auf ihre Gesellschaftsstruktur, die dadurch nahe liegen. Acht Häuser umfasst die Siedlung, und alle sind nach exakt demselben Muster aufgebaut, als hätten die Bewohner alle bei IKEA eingekauft (bis auf eines, das eine Werkstatt gewesen zu sein scheint). Mit 40 Quadratmetern bot jede Behausung einer Familie genügend Platz. Für neolithischen Komfort sorgten steinerne Einbaumöbel: zwei Familienbetten links und rechts der zentralen Feuerstelle, ein Schrank mit Regalfächern und ein in den Boden eingelassenes Becken, das vielleicht lebende Hummer und Meeresfrüchte frisch hielt. Witzigerweise war dies noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts das typische Layout jeder hebridischen Bauernkate.
Zeitreise dank originalgetreuem Nachbau
Direkt neben dem Museum ist ein Haus originalgetreu nachgebaut und begehbar. Auch durch die „Fußgängerzone“ von Skara Brae können wir dort im Nachbau schlendern. Alle Häuser nämlich waren mit einem überdachten Pfad verbunden. Was augenscheinlich fehlt, ist ein „Häuptlingshaus“. Die kleine Gemeinschaft (zu keiner Zeit vermutet man mehr als 50 Einwohner) hat anscheinend eine frühe Form von Gleichheit und Brüderlichkeit gelebt. Auch Wehranlagen und Waffen hat man nicht gefunden. Love, peace and happiness? Frühzeitlicher Kommunismus? Man weiß es nicht.
Unter welchen Umständen das Dorf verlassen wurde, ist ebenfalls nicht mehr nachvollziehbar. Ob es mehr mit dem Klimawandel und dem Sand zu tun hatte, der die Häuser zunehmend bedrohte, oder mehr mit dem gesellschaftlichen Wandel, der neue Glaubensvorstellungen mit sich brachte und – vermutlich – mit dem gigantischen Abschiedsfest am Ness of Brodgar besiegelt wurde, lässt sich schlecht sagen (wobei natürlich nahe liegt, dass beides sich gegenseitig bedingte). Jedenfalls versank das Dorf in den Dünen und tauchte erst 1850 nach einem schweren Sturm wieder auf. Seither gilt es als „Pompeji von Schottland“ (obwohl es rund 3000 Jahre älter ist als die römische Stadt, die beim Vesuv-Ausbruch verschüttet wurde, und übrigens auch älter als die Pyramiden von Gizeh).
Einen Blick in die Steinzeit werfen
Nachdem Museum und Nachbau uns eingestimmt haben, sind wir bereit für die realen Ruinen. In ihrem heutigen Zustand, mit Gras bewachsen und ohne Dach, erinnern sie sehr an Hobbit-Häuser. Die Einbauschränke sind in mehreren Häusern noch wunderbar zu erkennen.
Skara Brae gilt als besterhaltenes Steinzeit-Dorf Europas. Dazu liegt es heute direkt am Strand (früher war das nicht so) und macht ästhetisch einfach eine Menge her. Hier darf man nur gucken, aber das aus allen Winkeln. Schade nur, dass es mit 11 Grad auch Ende Juli für einen anschließenden Besuch am Traumstrand zu kalt ist.
Praktische Hinweise für Skara Brae
Skara Brae ist weiträumig ausgeschildert, wer auf Nummer sicher gehen möchte, kann den Postcode als Adresse fürs Navi eingeben: KW16 3LR. Ein kostenloser Parkplatz befindet sich direkt vorm Museum. Zugang zum Gelände ist nur in Kombination mit dem Museumsbesuch möglich.
Eintrittspreise: Erwachsene zahlen 7,10 Pfund, Kinder 4,30. Im Ticket enthalten ist auch die Besichtigung des Herrenhauses Skaill House. Das haben wir leider nicht mehr geschafft.
Öffnungszeiten von Skara Brae: April bis September täglich von 9.30 bis 17.30 Uhr, Oktober bis März 10 bis 16 Uhr.
Mehr Schottland mit Kindern
Hier im Blog habe ich noch viel mehr über Schottland geschrieben. Während unserer Recherchereisen zu unserem Familien-Reiseführer „Schottland mit Kindern„* und auch schon in früheren Jahren sind über 30 Artikel entstanden, die hier fein säuberlich nach Region aufgelistet sind:
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