Wer an der Nordsee ist, der muss ins Watt. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz, denn das Wattenmeer ist ein weltweit einzigartiges Naturphänomen. Eine Wattwanderung mit einem kundigen Führer ist spannend, unterhaltsam und unvergleichlich lehrreich. Hier kommt unser Erfahrungsbericht von einer Wattwanderung auf Föhr.
Wir und das Watt
Es ist nicht so, als sei das mit uns und dem Watt Liebe auf den ersten Blick gewesen. Bei unserer allerersten Begegnung an der Nordseeküste auf Sylt halten wir es nur für ein paar Minuten im Watt aus. Silas ist noch so klein, dass schon der Weg vom Parkplatz zur Deichkrone eine Herausforderung ist. Janis schwappt bereits bei den ersten Schritten Meerwasser in die Gummistiefel. Es ist Anfang März und schweinekalt.
Gut fünf Jahre später haben wir wieder die Gelegenheit, und diesmal nehmen wir sie gründlich wahr. In unserem traumhaften Kurzurlaub auf Föhr entscheiden wir uns für die große naturkundliche Wattwanderung mit Heinz Jürgen Fischer.
Wattwanderung mit einem Föhringer Unikat
Im Hoftel, unserem wunderschönen Familienhotel, haben wir von dem Termin erfahren. Da die Wattwanderungen sich nach Ebbe und Flut richten, ändern sich die Aufbruchszeiten täglich. Wer mit will, muss dann einfach rechtzeitig auf dem Parkplatz in Dunsum bereitstehen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Diese Teilnahmebedingung meistern wir und treffen eine Viertelstunde vor angekündigtem Abmarsch auf eine bunt zusammengewürfelte Truppe anderer Touristen, insgesamt mehr als 30 Leute. Scheu betreiben wir Smalltalk, vergleichen unser Schuhwerk und beratschlagen, ob unsere Stiefelhöhen wohl ausreichend sind.
Fischer fährt pünktlich vor in seinem alten Kombi und sieht genauso aus, wie man sich einen kundigen Wattführer vorstellt: kurze Hosen, braungebrannt, ein wettergegerbtes Gesicht unter schlohweißen Haaren und Schirmmütze. Er legt friesische Ruppigkeit an den Tag, die niemals böse gemeint ist, aber keinen Widerspruch duldet.
„Mit den Schuhen kannst du das vergessen“, bügelt er gleich zu Anfang eine Urlauberin in halbhohen Gummistiefeln ab. „Ins Watt geht man sowieso barfuß.“
Es ist ein kühler Frühsommertag, keine 20 Grad Lufttemperatur. Ich habe ganz bestimmt nicht die Absicht, mit nackten Füßen kilometerweit über den freigelegten Meeresboden zu laufen.
Aber genau das werde ich tun, verkündet Fischer. Er hat Recht damit. Und: Ich werde es lieben!
Unter erschwerten Bedingungen ins Watt
Ein gemeinsamer Blick über den Deich ergibt, dass wir noch etwas warten müssen. Mit einer Grabgabel zeichnet der erfahrene Wattführer Erde, Sonne und Mond in den Parkplatzsand, erklärt, wo das Wasser herkommt, wo es hingeht, und wieso. Die Windverhältnisse sorgen heute dafür, dass das Wasser noch nicht genügend abgelaufen ist. Für mich sieht es so aus, als habe die Flut gerade ihren Höchststand erreicht: Das Wasser steht bis zum Packwerk.
So ähnlich ist es auch, erklärt uns unser Führer. Wattwanderer laufen grundsätzlich der Flut hinterher, um rechtzeitig wieder an Land zu kommen. Und heute ist eben besonders viel Wasser da. Mit Gummistiefeln ist da wirklich nichts zu wollen. Kritisch mustert er Silas, der mit seinen sieben Jahren mit Abstand der Kleinste ist.
„Wenn euch irgendwo das Wasser höher als bis zum Bauchnabel steht, kehrt ihr um!“ sagt er unmissverständlich.
Höher als bis zum Bauchnabel? Ich dachte, wir würden über trockenen Meeresboden wandern; ich dachte, das sei der Witz an der Sache.
Aber als wir die rudimentäre Betontreppe über das Packwerk hinuntersteigen, habe ich eher den Eindruck einer kollektiven Badepartie. Unsere Schuhe und Stiefel haben wir an der Deichkrone zurückgelassen, fein säuberlich aufgereiht und umgestülpt, damit der Regen nicht rein läuft. Denn besonders gut sieht das Wetter nicht aus. Fischer hat lange überlegt, ob wir es heute überhaupt wagen sollen. Aber für uns ist es die einzige Chance, weil wir morgen schon nach Hause fahren, und gemeinsam mit ein paar anderen haben wir erfolgreich gebettelt.
Barfuß ins Watt bei nicht mal 20 Grad: Gar nicht so schlimm
Fast die Hälfte der ursprünglichen Gruppe hat der Mut verlassen. Unter diesen Umständen möchten sie lieber nicht.
Auch Silas sieht auf den ersten Metern so aus, als würde er seine Entscheidung gerne noch einmal überdenken. Mit verzogenem Gesicht stapft er an der Hand seines Vaters ins Meer hinein.
Zum Glück ist es gar nicht so kalt, wie wir dachten. Die Bewegung sorgt dafür, dass wir nicht einmal kalte Füße bekommen. Und nach ein paar hundert Metern wird das Wasser deutlich flacher, bis wir schließlich tatsächlich auf dem Trockenen stehen. Das schlimmste haben wir jetzt überstanden, versichert unser Führer. Der Priel ganz am Anfang ist auch schon der tiefste.
Begegnung hautnah mit Wattwurm und Strandkrabbe
Ein ganzes Stück laufen wir, dann senkt Fischer die Grabgabel, die er bis hierher über der Schulter getragen hat, in den überraschend festen Sandboden. Wir bilden einen Kreis und sehen zu, was dabei zu Tage kommt.
So machen wir die Bekanntschaft mit Miesmuscheln und können bei der Gelegenheit gleich beobachten, mit welcher Technik sie sich flugs wieder in den Untergrund arbeiten. Fischer gräbt einen Wattwurm aus. Silas darf ihn auf die Hand nehmen und herumzeigen.
„Sieht aus wie ein dicker, fetter Regenwurm“, urteilt Janis, der sich das Tier natürlich auch aus der Nähe ansehen muss.
Wir lernen, wie die Verdauung des Wattwurms funktioniert und wie die vielen Häufchen im Sand zustande kommen. Überhaupt lernen wir eine Menge. Dieser Mann versteht es, Kindern genau wie Erwachsenen Wissenswertes über die Tierwelt seiner Heimat zu vermitteln und sie ernsthaft zu begeistern. Ich weiß genau, dass bei mir in der Schule damals der Lebensraum Wattenmeer ausführliches Thema war. Genauso sicher aber weiß ich, dass ich nie auch nur ansatzweise so viel darüber gewusst habe, wie ich in diesen drei Stunden mit Heinz Jürgen Fischer erfahre. Dinge im wahrsten Sinne des Wortes vor Ort zu be-greifen, ist und bleibt eben die beste Form der Bildung.
Länge der Wattwanderung: 8 Kilometer
Rund acht Kilometer legen wir an diesem Tag zurück, laufen barfuß abwechselnd durch flaches Wasser und über Sand. Wir treffen auf Schwertmuscheln, Wellhornschnecken, beobachten Möwen, Austernfischer und sogar Seehunde – weit entfernt als hüpfende Punkte im Priel.
Silas macht Bekanntschaft mit einer Strandkrabbe, die ihm über den Fuß hastet.
Ein Regenschauer erwischt uns gründlich, und wir erleben einen kleinen Sandsturm, der fies an unseren nackten Beinen prickelt.
Föhrs Küstenlinie ist zu einem schmalen Streifen am Horizont geschrumpft. Wir sind mitten in der Nordsee. Diese Erkenntnis trifft uns mit einer tiefschürfenden Heftigkeit. Wasser und Sand, verborgen dazwischen ein Gewimmel von Leben, und doch ist unser kleines Grüppchen buchstäblich allein auf weiter Flur, der Gnade der Elemente ausgesetzt.
Am Umkehrpunkt sind wir schon näher an Sylt als an Föhr, können deutlich die hässlichen Bettenburgen Westerlands ausmachen; allerdings trennt auch bei Ebbe ein mehrere Meter tiefer Priel die beiden Inseln. Einmal die Woche führt Fischer Wattwanderer von Föhr bis nach Amrum, aber auch bei der Tour sollte man für den „Mittelloch“-Priel eine Badehose dabei haben.
Den Elementen erfolgreich begegnet
Der Rückweg wird ein bisschen mühsam. Unsere verhätschelten Füße sind so lange Strecken auf scheuerndem Sand nicht gewohnt. Aber die Unmissverständlichkeit unserer Situation leuchtet den Jungs ein. Hinter uns setzt langsam die Flut ein und treibt uns zum Ufer. Der Lauf der Gezeiten lässt sich von einem „Ich kann nicht mehr“ nicht aufhalten, und auch Mama und Papa können nichts dagegen tun.
„Da braucht man gar nicht jammern, nützt ja eh nix“, seufzt Janis weise. Zum Glück haben wir Motivationskekse dabei.
Wer länger da ist und zeitlich flexibler ist als wir, kann mit Glück auch eine Kinder-Tour erwischen, die auf kürzere Beine abgestimmt ist.
Das überragende Gefühl, alles aus eigener Kraft geschafft zu haben, besitzt aber durchaus seinen eigenen Wert. Nachdem wir die Betontreppe wieder hinaufgestiegen sind, Socken und Schuhe über unsere verschrumpelten Füße gezwängt, unseren Führer bezahlt und mit Dankesworten verabschiedet haben, pesen die Jungs euphorisch über den Fahrradlenker gebeugt quer über die Insel zurück gen Unterkunft. Und auch ich bin sehr zufrieden mit unserer Erfahrung im Watt.
Selten hat mich eine Unternehmung im Urlaub so viel gelehrt, so an meine Grenzen gebracht und unterm Strich so glücklich gemacht wie unsere Wattwanderung mit Heinz Jürgen Fischer.
Praktische Hinweise zur Wattwanderung auf Föhr
Die große naturkundliche Wattwanderung mit Heinz Jürgen Fischer dauert rund drei Stunden und kostet 5 Euro für Erwachsene und 3 für Kinder bis 14 Jahre.
Da sich Tage und Zeiten der Wanderungen beständig verschieben, lassen sich aktuelle Informationen am besten an den Aushängen überall auf der Insel oder bei der Tourist Information Föhr einholen, Telefon (0 46 81) 300. Ob und wann spezielle Kinderführungen stattfinden, weiß man dort ebenfalls.
Wattwanderungen auf eigene Faust sind gefährlich! Geht niemals ohne einen kundigen Führer ins Watt!
Mehr Erfahrungsberichte über Wattwanderungen
Marc von Reisezoom war ebenfalls mit seiner Familie bei einer Wattwanderung dabei und hat viel tollere Fotos als ich. Er ist von Büsum aus gestartet. Hier ist sein Blogbeitrag.
Mehr über Föhr und das Watt bei family4travel
Von unserem Kurztrip nach Föhr mit Kindern existieren zwei weitere Erfahrungsberichte. Leider gibt es unsere wunderbare Unterkunft inzwischen schon nicht mehr.
- Föhr für Familien: Als ich mich in eine Insel verliebte
- Hoftel Föhr: Die perfekte Unterkunft für den Familienurlaub
Ebenfalls empfehlen kann ich Inselurlaub mit Wattwanderung auf Borkum:
Borkum mit Kindern: Unser langes Wochenende an der Nordsee
Wer einen Städtetrip mit einer Wattwanderung verbinden möchte, ist in Wilhelmshaven richtig:
Wilhelmshaven mit Kindern: Städtetrip maritim
Insgesamt gibt es hier im Blog inzwischen fast 200 Erfahrungsberichte aus erster Hand über Reise- und Ausflugsziele in Deutschland mit Kindern. Verzeichnet sind sie alle hier, inklusive Kartenansicht:
Herrlich! Erinnert mich an unseren Ausflug nach Norderney, wo ich meinen Mann zu einem Wattausflug überreden konnte. Eine meiner schönsten Erinnerungen an ihn…
Wenn du wüsstest, wie lange ich an den Bildern geschraubt habe, um das miese Wetter zu verschleiern :)
Aber danke!
8 km ist natürlich eine ganz andere Nummer, so viel gibt das Watt vor Büsum gar nicht her. Was mich aber tatsächlich erstaunt, ist, dass euch nicht kalt geworden ist. Bei meiner ersten Wattwanderung vor Cuxhaven war ich im Mai auch barfuß unterwegs und ich hatte irgendwann echt Schiss meine Zehen zu verlieren, so kalt war das da!
(Sind aber alle noch dran!)
Und zum Thema lernen, zeigt das doch mal wieder sehr deutlich, wie viel Theorie bringt :D
Leibe Grüße
Marc
Na, das Schrauben ist doch auch eine Kunst (der ich mich aus Faulheit komplett verschließe)! ;)
Dass es nicht kalt war, hat mich auch gewundert, denn ich bin gerade an den Füßen ein echter Frostköttel. Dann ist das also nicht normal? Vielleicht funktioniert es wirklich am besten in der Kombination mit den 8 Kilometern. :)