Es ist unser zweiter Tag im Kosovo. Gestern Abend sind wir angekommen und haben unsere geräumige Wohnung in Pristinas Botschaftsviertel bezogen. Wir haben schon das ländliche Rumänien gesehen, Serbien, Bosnien und Montenegro haben unsere Erwartungen beeinflusst, und und gerade kommen wir aus Albanien, wo wir drei Tage Couchsurfing in recht einfachen Verhältnissen hinter uns haben. Uns war klar, dass wir in eine nicht ganz astrein entwickelte Region fahren, in der die Dinge suboptimal laufen – um es mal vorsichtig auszudrücken. Aber dann sind wir doch ein bisschen verwirrt.
Pristina ist nicht das, was wir erwartet haben. Die Stadt wimmelt von internationalen Vertretern und NGO-Leuten. Jedes zweite Auto fährt ein Diplomatenkennzeichen, ein Y oder wenigstens den Aufdruck einer internationalen Organisation spazieren. Vor unserer Haustür wundert mich das nicht, denn aus dem Schlafzimmerfenster sehen wir schon den Zaun des Kfor-Lagers, und vorne raus reihen sich in unserer Straße die bulgarische, die österreichische, die französische und noch manche andere Botschaft aneinander, bis sie schließlich endet, weil die USA die Durchfahrt für ihre Botschaft einfach dicht gemacht haben. So beruhigt haben wir unser Auto selten geparkt, denn es befindet sich im Blickfeld der Wachdienste mindestens vierer Nationen. Auch unsere Wohnung war bis vor kurzem vom Botschaftsstab angemietet, und zwar vom deutschen. Im Küchenschrank steht noch eine Kaffeetasse mit Aufdruck der Polizei Hamburg.
Wir steigen hinab in den Smog-Kessel, der Pristina heißt. Dort absolvieren wir das übliche Sightseeing und entdecken eine spannende Stadt voller Widersprüche. Und dann treffen wir schließlich auf den Platz am Ende der Fußgängerzone, auf dem sich rudimentär gezimmerte Holzbuden aneinanderreihen, die uns im ersten Moment an einen deutschen Weihnachtsmarkt erinnern.
„Äh“, sagt Martin, als wir näher kommen. „Das ist ein Weihnachtsmarkt.“ Ein kosovarischer, aber sehr deutsch angehaucht. Weihnachtsmarkt im Kosovo?! In der Tat. „Gluhwein“ und „Kinderpunch“ stehen auf der Karte des Ausschank-Häuschens. Es gibt Bratwürste vom Grill. Wir sind seit fast vier Monaten nicht zu Hause gewesen, und seit wir Rumänien verlassen haben, haben wir auch keine imaginativen Rückführungen in bekannten Discountern mehr erlebt. Erst in diesem Moment fühlen wir uns wieder, als hätten wir versehentlich ein Portal durchschritten, das uns auf den Marktplatz irgendeiner deutschen Kleinstadt gebeamt hat.
Für die Jungs ist das Erlebnis gar nicht so intensiv. Sie interessieren sich mehr für die Ballonverkäufer, deren Verkaufsschlager der rote mit dem albanischen Doppelkopfadler ist. Aber für Martin und mich ist die Begegnung äußerst surreal.
Eins muss ich dazu sagen: Ich hasse Weihnachtsmärkte. In Deutschland wäre nie im Leben ich diejenige, die eine Runde Glühwein vorschlägt. Aber wenn man schon mal in Pristina ist – warum nicht? Weihnachtsmarkt im Kosovo: Kann man machen.
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Danke, super. So haben wir das auch in Erinnerung. Nur bei Regen im Mai…