Bulgarien ist voller interessanter Orte, voller Abenteuer und voller unverhoffter Sehenswürdigkeiten. Natürlich ist das Land für uns unbedarfte mitteleuropäische Touristen vor allem in sich selbst Sehenswürdigkeit genug, denn am spannendsten sind (zumindest für uns vier) Fragen wie: Was ist hier anders, was ist genauso wie zu Hause? Wie sieht das alltägliche Leben der „echten Menschen“ in Bulgarien aus? Und das lässt sich freilich überall erkunden, buchstäblich an jeder Ecke. Aber es gibt sie eben doch, die wirklich spannenden Orte von herausragender historischer Bedeutung für die bulgarische (und teilweise europäische) Geschichte. Eine dieser bulgarischen Sehenswürdigkeiten ist die alte Zarenburg Zarewez (oder Tsarevets) in Weliko Tarnowo.
Wo liegt Weliko Tarnowo?
Wäre Bulgarien ein liegendes Blatt Papier in Din A4-Größe, so läge Weliko Tarnowo im rechten oberen Viertel nahe der Mitte (um es einfacher zu machen: Hier ist der Link zu Google Maps).
220 Kilometer sind es bis zur Hauptstadt Sofia (also rund drei Stunden Fahrt mit dem Auto), genauso weit ist es von dort bis Warna (und Goldstrand) am Schwarzen Meer. Weniger als 200 Kilometer sind es nordwärts bis Bukarest, in südlicher Richtung liegt das ebenfalls touristisch interessante Plovdiv in gut 200 Kilometern Entfernung. Bis zu den Feriengebieten Richtung Burgas (Sonnenstrand bis Sozopol) fährt man knapp vier Stunden. Für einen Bulgarien-Roadtrip bietet sich Weliko Tarnowo mit seiner zentralen Lage also absolut an.
Was ist Weliko Tarnowo?
Die Stadt mit rund 73.000 Einwohnern ist heute ein modernes regionales Zentrum. Uns (und andere Touristen) interessiert vor allem die Altstadt, die hübsch hergerichtet ist.
In Bulgarien benutzt man die kyrillische Schrift (hier wurde sie übrigens sogar erfunden), und so gibt es im Deutschen verschiedene Schreibweisen des Ortes. Auf Deutsch heißt es meist Weliko Tarnowo, international eher Veliko Tarnovo. Im Alltag reicht oft Tarnowo (oder Tarnovo), denn der 1965 hinzugekommene Vorsatz heißt nur soviel wie „ruhmreich“.
In der außerordentlich langen und verzwickten Geschichte Bulgariens (wir lernen ja so wenig über unsere osteuropäischen Nachbarn in der Schule und selbst an der Uni!) spielt Weliko Tarnowo eine Rolle als Zarenstadt. Fast 200 Jahre lang war sie während des Hochmittelalters Hauptstadt des Zweiten Bulgarischen Reichs.
Mini-Mini-Crashkurs: Bulgarische Geschichte für Touristen
Spannend war es in Bulgarien von Anfang an: Schon in der Bronzezeit vergruben die Thraker dort den ältesten bekannten Goldschatz der Menschheit. Dann kamen die Römer, dann Byzanz, dann die Slawen (und so schnell landet man von der Bronzezeit in der Spätantike).
Im 7. Jahrhundert entwickelte sich das Großbulgarische Reich, das allerdings sehr kurzlebig war und außerdem überhaupt nicht im heutigen Bulgarien lag, sondern auf der anderen Seite vom Schwarzen Meer. Von da aus zogen die „schwarzen“, die „weißen“ und die „blauen“ Bulgaren auf unterschiedlichen Routen westwärts und ließen sich so ungefähr in den heutigen Landesgrenzen nieder (und ein gutes Stück darüber hinaus).
Das Erste Bulgarisch Reich entstand, das insofern erfolgreicher war als das „große“, als dass es sogar Byzanz Tribute abverlangte. Die Christianisierung einte alle anwesenden Volksstämme, die bulgarische Nation erblühte und mauserte sich zur frühmittelalterlichen Hochkultur.
Kurz nach der Jahrtausendwende war es jedoch vorbei damit, denn nach Schwächung durch innere Querelen gewann Byzanz die Oberhand. Erst mehr als hundert Jahre später führten zwei Brüder namens Assen und Peter einen erfolgreichen Aufstand – und jetzt kommt Weliko Tarnowo ins Spiel. Die Stadt nämlich war das Zentrum der Bewegung und wurde in der Folge (nach Pliska, Weliki Preslav und dem heute mazedonischen Ohrid) Hauptstadt Bulgariens.
Unter Zar Iwan Assen II. stieg in der ersten Hälfte des 13. Jahrunderts auch das Zweite Bulgarische Reich zur gewichtigsten Macht auf dem kompletten Balkan auf.
Na ja, dann kam der Mongolensturm, und damit auch schon das Ende des Zweiten Reiches. Ein drittes gab es bisher nicht, wohl aber – nach einer langen osmanischen Herrschaft – die sogenannte „Bulgarische Wiedergeburt“ im 18. und 19. Jahrhundert. Wie Wiederentdeckung einer nationalen Identität führte zu blutigen Aufständen und schließlich zur Verabschiedung einer ersten eigenen Verfassung – in Weliko Tarnowo. Bulgarien wurde eine konstitutionelle Monarchie, und weil man neue Dinge am besten auch an neuen Orten tut, machte man Sofia zur neuen Hauptstadt Bulgariens.
Warum muss man sich Weliko Tarnowo ansehen?
Was gibt es dort zu sehen, dass man die geschichtsträchtige Stadt auf dem Bulgarien-Roadtrip wirklich nicht auslassen sollte?
Zunächst ist Weliko Tarnowo ein wirklich hübsches Städtchen, dessen Altstadt zumindest einen ausgedehnten Bummel lohnt. Als Unesco Kulturerbe hatte die Gemeinde die Möglichkeit, viel alte Architektur zu retten und zu renovieren.
Die größte Sehenswürdigkeit ist freilich die Zarewez, die alte Zarenburg, die von drei Seiten von der Yantra umschlossen ist. Sie ist von der Altstadt aus zugänglich. Über einen schmalen steinernen Grat führt der Weg. Ein Spalt im Gestein wird von einer Brücke überspannt – eine von der Natur beinahe perfekt geformte Örtlichkeit für eine Festung.
Unser Besuch ist mal wieder eine spontane Entscheidung und nicht besonders gut vorbereitet. Wir haben unsere Couchsurfing-Gastgeber bloß nach einem Tipp für einen Zwischenstopp auf dem Weg ans Schwarze Meer gefragt. Einen richtigen Bulgarien-Reiseführer besitzen wir nicht, und so bleiben uns nur Wikipedia und die lokalen Informationstafeln.
Letztere sind auf der Zarenburg (wie vielerorts in Bulgarien) nicht nur auf Bulgarisch, sondern auch auf Englisch und Deutsch. Die ältere Variante, die auf dem alten Ausgrabungsgelände noch ab und zu anzutreffen ist, zeigt sogar nur die Landessprache und unsere Muttersprache. Wie wir erfahren, liegt das daran, dass vor vielen Jahrzehnten deutsche Archäologen mitgearbeitet haben und die Gelder zur Erforschung zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Deutschland flossen. Ob Ost- oder West-, kann ich dummerweise nicht in Erfahrung bringen.
Und was ist die Zarewez nun?
Die Festungsanlage ist heute ein Ruinenfeld mit mehreren wiedererrichteten Bauwerken.
Erste Siedlungsspuren wurden hier schon aus der Steinzeit gefunden, die ersten richtigen Befestigungen aus der Eisenzeit. Die beiden schon erwähnten Zarenbrüder Assen und Peter organisierten von hier aus ab 1185 ihren Kampf gegen die Besatzermacht Byzanz.
Von der Festung aus breiteten sich Handwerker- und Wohnviertel über die benachbarten Hügel aus, und eine richtige Stadt entstand, die im 13. und 14. Jahrhundert ihre Blüte erlebte. Die Ruinen im Archäologiepark vermitteln eine Ahnung von der Wichtigkeit und den Ausmaßen der alten Königsstadt.
Vom Palast ist vorerst nur noch wenig zu sehen. Umso beeindruckender ist die Patriarchen-Kathedrale der Heiligen Auferstehung, die auf dem höchsten Punkt des Hügels thront. Sie wurde 1981 wiedererrichtet, und die Fresken im Inneren kehren diesen Fakt stilistisch nicht gerade unter den Teppich, wenngleich die Motive auf das Zweite Bulgarenreich Bezug nehmen. Unter den rund 400 kartografierten Gebäuden auf dem Zarewez-Hügel sind 22 weitere Kirchen und vier Klöster, von denen jedoch nur noch die Grundmauern erhalten sind.
Ein weiteres aufrechtes Gebäude ist der Balduinsturm. Er ist nach dem Herrscher benannt, der auf dem vierten Kreuzzug Konstantinopel eroberte und später hier in Gefangenschaft starb. Auch dieser Turm ist im 20. Jahrhundert nachgebaut worden.
Praktische Infos für den Besuch in Weliko Tarnowo
Wir haben auf unserem Europa-Roadtrip einen einzigen Tag in der alten Zarenstadt verbracht, eigentlich nur ein paar Stunden auf der Durchreise (im Dezember 2014). Von daher sind wir keineswegs die besten Experten, das ist klar. Aber da es ansonsten wenig deutsche Infos im Internet gibt, teile ich unsere Eindrücke und Erfahrungen trotzdem.
Essen und Gastronomie
Als vergleichsweise touristischer Ort (was hierzulande selten mit „überlaufen“ gleichgesetzt werden muss) verfügt Weliko Tarnowo über eine ganze Reihe Kneipen und Restaurants, die für uns von außen durchaus einladend aussahen. Den Namen des Cafés, in dem wir eingekehrt sind, habe ich mir blöderweise nicht aufgeschrieben, und bei Google Maps finde ich es nicht wieder, so dass ich es nicht weiterempfehlen kann. Aber die gastronomische Szene sah allgemein ganz gut aus.
Sicherheit und Parken in Weliko Tarnowo
Bulgarien gilt gefühlt als Sicherheitsrisiko, vor allem wenn man mit dem eigenen Auto unterwegs ist. Wir sind jedenfalls (von Deutschen, in Deutschland) immer wieder suggestiv gefragt worden, ob wir dort keine schlechten Erfahrungen mit Kriminalität gemacht hätten.
Nein, haben wir nicht. Auch in Weliko Tarnowo haben wir einfach so an der Straße geparkt, kostenlos, neben ein paar bulgarischen Autos. Zwei einheimische Familien (eine aus Sofia, eine aus einem kleinen zentralbulgarischen Dorf) hatten uns vorher beide versichert, das sei kein Problem, und für uns war es auch keins.
Ich möchte nicht ausschließen, dass sich das mit zunehmendem Tourismus und im Sommer vielleicht ändert (wo was zu holen ist, entwickelt sich erfahrungsgemäß durchaus Kriminalität, egal wo). Aber für uns war Bulgarien sicherheitstechnisch gefühlt überhaupt kein Ding (ganz anders als nachher Italien und Spanien).
Weliko Tarnowo mit Kindern
Unsere beiden Jungs hatten recht großen Spaß in der alten bulgarischen Hauptstadt. Dass es ihnen gefallen hat, lag zum einen bestimmt daran, dass wir sie nach längerer Zeit endlich mal wieder mit genießbarem Kuchen bestechen konnten.
Aber das Ruinenfeld mit seinen verschlungenen Wegen und Möglichkeiten zum Klettern und Spielen regt die Fantasie so an, dass das wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen wäre. Auf kleinere Kinder muss man ein wenig Acht geben, da Gefahrenstellen nicht unbedingt abgesperrt sind (aber das gilt freilich für so ziemlich alle historischen Stätten südlich von Wien).
Spielplätze haben wir in der Altstadt keine gesehen (wobei Bulgarien in dieser Hinsicht normalerweise recht gut ausgestattet ist, irgendwo sind bestimmt welche). Da unsere beiden mit wenig zufrieden sind, haben wir nicht Ausschau gehalten nach speziellen Kinder-Kinderhighlights.
Das finde ich sehr spannend, Urlaub in Bulgarien. Danke für die Anregung, ich werd mal drüber nachdenken
Frühe Siedlungsspuren auf dem Gebiet von Weliko Tarnowo stammen aus der Bronzezeit 13. Jahrhundert v. Chr.. Im Freilichtmuseum Etar wird der bulgarische Alltag, die Kultur und die alte Handwerkskunst gezeigt, sowie die bulgarische Architektur vor ca. 300 bis 150 Jahren.
Plovdiv ist eine der ältesten Städte in Europa, sie existiert seit 4000 v. Christus. Sehr eindrucksvoll ist der thrakische Goldschatz aus dem 3. oder 4. Jahrhundert vor Christus den ich mir im Archäologischen Museum von Plovdiv angeschaut habe.
Bulgarien hat mich sehr positiv überrascht, ein sehr gutes Preis – Leistungs – Verhältnis, freundliche Menschen und eine alte Kultur. Außergewöhnlich war der Besuch eines Orthodox Gottesdienstes.
Der älteste Goldschatz der Welt wurde weder in Sumer, noch in Ägypten, sondern in Bulgarien gefunden. Grüssle Jens
[…] Lena Marie Hahn von family4travel war mit ihrer Familie ebenfalls einen Tag in Veliko Tarnovo unterwegs. […]