Wildnis haben wir eigentlich nicht so mit Wales verbunden, aber jetzt sind wir tatsächlich mittendrin. Manchmal ist es nicht ganz einfach, seine Couchsurfing-Gastgeber zu finden…

Diese Geschichte ist Teil unseres Großbritannien-Roadtrips von 2013 (hier geht es zur Karte).

Mitten im Waliser Nirgendwo

Die Straßen sind eng und gewunden und so schmal, dass kaum unser eigenes Auto draufpasst, geschweige denn Gegenverkehr. Werner, unser Navi, hat uns bis jetzt treu durch Großbritannien geführt, aber so langsam haben wir doch unsere Zweifel.

Sind wir hier wirklich richtig? Wohnen hier Menschen?

Doch tatsächlich, vereinzelt sind da Häuser links und rechts des geteerten Pfades, und da ist tatsächlich ein kleines, unscheinbares Ortsschild: Llanfihangel-ar-arth, wir sind richtig.

Oje.

„Sie haben Ihr Ziel erreicht“, sagt Werner. Martin und ich sehen uns an. Wir passieren gerade ein überwuchertes Grundstück, auf dem mindestens sieben Autowracks in unterschiedlichen Stadien des Verfalls vor sich hinrotten.

Couchsurfing auf dem Autofriedhof?

Vor einem kleinen Häuschen mit schiefem Dach sitzt auf einem Campingstuhl mit 70er-Jahre-Muster ein bärtiger Mann. Ist das etwa Brian, unser Couchsurfing-Host?

Hoffend und bangend fahren wir erstmal dran vorbei. Aber Werner ist der Meinung, er hätte seine Pflicht erfüllt.

In direkter Nachbarschaft ist nichts zu sehen, außer einer verlassenen Fabrik, in der ganz bestimmt niemand wohnen kann.

Also setzt Martin zurück, bis wir wieder vor dem komischen Kauz mit seinem Autofriedhof stehen. Mit einem mulmigen Gefühl steige ich aus.

„Sie warten nicht zufällig auf uns?“ frage ich den Bärtigen zaghaft.

„Was? Was?“ fragt er mit einem einfältigen Grinsen. Er wuchtet sich aus seinem Campingstuhl und kommt neugierig näher, eine unangenehme Duftwolke aus Schnaps und lange ungewaschenem Menschen vor sich herschiebend.

„Kennen Sie Toria?“ frage ich laut.

Er lacht. Ja, die kennt er.

Zu meiner immensen Erleichterung deutet er die Straße hinunter. Wortreich erklärt er mir den Weg. Es ist nicht weit, überhaupt nicht weit – das ist das einzige, was ich seinem alkoholisierten waliser Akzent entnehmen kann.

Erleichtert steige ich wieder ins Auto. „Guten Tag! Guten Tag!“ ruft mir der Alte nach, stolz auf seine Deutsch-Kenntnisse, und etwas, das vielleicht „See you around, then!“ heißt.

... which is also true for some houses and quite a few inhabitants we met.

Vom Autofriedhof habe ich kein Foto gemacht, weil der Bewohner ja davor saß. Das hier ist das Nachbarhaus – ebenfalls noch bewohnt.

Auf der Suche nach der Zivilisation

Wir lassen das trostlose Fleckchen hinter uns und fahren langsam die Straße entlang.

Hügel rauf, hat er gesagt, glaube ich. Es geht aber eine Senke runter. Bis sich die Straße endlich wieder hebt, ist „überhaupt nicht weit“ schon längst vorbei.

Die Häuser, die wir auf dem Weg passiert haben, sahen alle nicht wesentlich besser aus als das, mit dessen Bewohner ich gesprochen habe.

Wir halten schließlich vor einem Häuschen, das nicht ganz so desolat aussieht. Vielleicht ist es ja hier, hoffen wir.

Wieder steige ich aus, öffne das Gartentor, das nicht besonders einladend aussieht. Im Hof steht eine Mülltonne. An der Klingel steht ein Nachname. Es ist nicht der von Toria und Brian.

Ich klingele trotzdem. Eine Weile passiert gar nichts.

Deutsche trifft man überall

Dann höre ich schlurfende Schritte, und die Tür öffnet sich. Eine alte Frau begrüßt mich, nur Augenblicke später flankiert von ihrem Mann. Ich stelle mich vor und erkläre mein Anliegen.

„Sie wollen Toria die Künstlerin besuchen?“ vergewissert sich die Frau. „Wie nett, ja. Hierher verirrt sich ja nicht oft Besuch.“

Ich lächele und hoffe, dass mir nicht allzu deutlich auf der Stirn geschrieben steht, wie gut ich das verstehen kann.

„Woher kommen Sie denn?“ fragt die Hausherrin. „Ich kann Ihren Akzent gar nicht zuordnen. Aus Wales nicht, und aus England auch nicht, oder?“

Als ich mich als Deutsche zu erkennen gebe, sind die beiden ebenso überrascht wie erfreut. Walter, der Hausherr, stammt nämlich aus Schleswig-Holstein. Der alte Mann mit den Lachfältchen, sicherlich an die 80, strahlt mich an.

Ob ich nicht hereinkommen möchte und eine Tasse Tee mit ihnen trinken will, fragt er mich auf Deutsch. Seine Sprache klingt eingerostet, nach einigen Wörtern muss er suchen.

Bedauernd lehne ich die Einladung ab, schließlich sitzt meine Familie im Auto, und inzwischen ist es schon eine halbe Stunde später als unsere angekündigte Ankunftszeit bei Toria.

Walter und die Wildnis

Aber seine Lebensgeschichte im Zeitraffer erzählt mir Walter doch. Er ist Lehrer geworden, kurz nach dem Krieg, und wollte sich die Sprache, die er unterrichten sollte, in einem letzten Urlaub vor Arbeitsantritt noch mal in freier Wildbahn anhören.

Dann hat es ihm aber so gut gefallen hier, vor allem Wales hat ihm so gut gefallen – ja ja, besonders Wales, sagt seine Frau mit einem Zwinkern – dass er einfach nicht mehr zurückgegangen sei.

Vielen gehe es so, sagt er. Kaum einer in Llanfihangel-ar-arth sei hier geboren. Die Eingeborenen zögen weg, wer herkomme und bleibe, habe ein Herz für die Wildnis. Eine hübsche Kollektion komischer Käuze wohne hier.

Das bringt mich zurück zu meiner ursprünglichen Frage.

Ach ja, richtig, sagt die Frau, ja, Toria die Künstlerin. Die wohnt ganz in der Nähe.

Sie zeigen in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Sie beschreibt mir den Weg genau.

„Aber da waren wir schon“, wende ich ein und erzähle von meiner Begegnung mit dem Mann vom Autofriedhof.

Walters Frau lacht. „Dann waren Sie fast dort! Das ist ihr direkter Nachbar.“

„Aber da ist doch sonst nur diese Fabrik-Ruine“, wende ich ein.

„Ja, genau.“ Sie strahlt mich an. „Das ist es.“

Dieser Beitrag basiert auf Eintragungen meines Reise-Tagebuchs vom 27. August 2013. Unsere Abenteuer in der Fabrik-Ruine gibt es hier: Couchsurfing für Fortgeschrittene.